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Mario Illien im Exklusivinterview

Der frühere „Motorenpapst“ der F1, Mario Illien kritisiert im exklusiven Interview das aktuelle F1-Reglement und denkt über neue, offene Wege nach…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Markus Kucera

Mario Illien war der „Motorenguru“, als McLaren-Mercedes in den Jahren 1998 und 1999 mit Mika Häkkinen Weltmeister wurde. Schon 1993 stieg Mercedes bei Ilmor, der von Illien und Paul Morgan gegründeten Motorenschmiede ein. Ab 2005 übernahm Mercedes die komplette von Illien und Morgan gegründete Firma und benannte sie in Mercedes-Benz HighPerformanceEngines um, während Mario Illien wieder die Namensrechte für Ilmor erwarb und seither wieder unter diesem Level agiert.

Seine Formel 1-Tätigkeit habe mit dem Wechsel zu V8-Motoren ihr endgültiges Ende gefunden, erklärt Illien im Exklusivinterview im Rahmen der Ennstal Classic, an der der Schweizer mit seiner Tochter als Navigatorin teilnahm. In dem Gespräch kritisiert Illien die zunehmende Vereinheitlichung und die Einschränkung von Kreativität im modernen Formel 1-Reglement, er berichtet zudem von interessanten neuen Projekten.

Sie sind zwar noch im Rennmotorengeschäft tätig, haben aber mit der Formel 1 nichts mehr zu tun, oder?

Ja, mit der Formel 1 habe ich mit dem V10 abgeschlossen.

Mit dem V10 war man ja auch schon fast bei 20.000 U/min, oder?

Nicht ganz, wir waren knapp über 19.000 U/min. Aber es war nicht eine Frage, ob man 20.000 erreichen könnte oder nicht – aber es standen die Verbrauchoptimierung und die Lebensdauer im Vordergrund.

Es gibt ja diese Geschichten, dass damals 200 Motoren gebaut wurden – stimmt das?

Das hat es sicher auch gegeben, aber in unserem Fall nicht. Wir lagen bei 104 oder 105 Motoren pro Saison.

Das sind ja auch nicht wenig…

Ja, aber es wurde parallel zu den Rennen einiges an Entwicklungsarbeit geleistet.

Man hat also immer auch Motoren auf dem Prüfstand zerstört?

Genau.

Was sagen Sie eigentlich zu dem aktuellen Motoren-Reglement – ist das nicht eine Beleidigung für einen Motorenbauer?

Also, ich finde es nicht sehr herausfordernd, dass alles eingefroren ist. Einerseits muss ich sagen, dass ich froh bin, dass ich da nicht mehr dabei bin. Früher, als man wirkliche Entwicklungsarbeit leisten konnte, war das natürlich höchst interessant. Das Schlimme an dem Ganzen ist, dass die heute genauso viel Geld ausgeben wie wir früher ausgegeben haben. Und das für relativ wenig Fortschritt.

Aber bekommt man heute die Motoren nicht um 10 Millionen Euro oder noch weniger?

Schon, die FIA schreibt vor, dass ein Team für 5 Millionen Dollar pro Auto pro Saison fahren sollte. Aber das sind natürlich Preise, die subventioniert sein werden – das macht dann auch keinen wirklich realistischen Sinn.

Wie viel hat so eine Motorenentwicklung damals pro Jahr gekostet?

Man muss natürlich aufpassen, denn es geht ja auch um das ganze Umfeld und nicht nur um die Motorenentwicklung als solches. Aber es waren natürlich kleinere Budgets als heute.

Die Kosten sind auch dann noch gestiegen, als FIA-Präsident Max Mosley bereits auf die Kostenbremse gestiegen ist…

Einerseits wurde es mehr, weil man vom Zehnzylinder auf den Achtzylinder gegangen ist, dann hat man beim Achtzylinder die Drehzahl entwickelt und dann kam plötzlich die Langlebigkeit – und das musste in ganz kurzer Zeit erbracht werden. Das hat wieder viel gekostet, jede Änderung kostet prinzipiell sehr viel Geld. Und das gab es in den letzten Jahren. Jetzt wird wohl eine gewisse Stabilität eintreten, dafür stabilisiert sich irgendwie auch das Interesse am Motorenbau (lacht).

Früher standen beispielsweise in Monza immer die Motoren im Vordergrund…

…und jetzt spricht kein Mensch mehr vom Motor.

Kann man sagen, dass diese ganzen Einsparungsmaßnahmen alle nur mehr Kosten verursacht haben?

Ja, also bis zu dem jetzigen Zeitpunkt würde ich sagen: ja! Wenn man das jetzt so weiterführt, wird man sicher eine Kostenreduktion erreichen. Wenn man es komplett einfriert und es wirklich gar keine Entwicklung mehr gibt, werden sich die Kosten stabilisieren.

Am Motorenumfeld entwickelt man aber auch heute noch…

Ja, am Umfeld kann man Kleinigkeiten machen, das sind dann natürlich teure Kleinigkeiten. Für nächstes Jahr wollen sie ja fünf Motoren pro Fahrer pro Saison – und da glaube ich schon, dass man einiges einsparen kann. Aber das heißt natürlich, dass man wieder die Zuverlässigkeit über eine längere Distanz hin entwickeln muss.

Also wieder neue Bauteile?
Das muss man entwickeln – und man muss es natürlich auch überprüfen, also auf dem Prüfstand testen. Das ist dann also trotzdem relativ teuer.

Ich habe mir einmal die Motorenregeln genauer angesehen – da ist so viel vorgegeben, Bohrung, Hub, Ventile usw. Ist das nicht schon fast ein Einheitsmotor, den die verschiedenen Firmen nach Reglement bauen?

Ja, es ist praktisch ein Einheitsmotor. Für mich ist heute zu viel reglementiert. Die Bohrung ist gegeben, der Block, die Höhe ist gegeben, die Materialien sind gegeben, der Zylinderabstand ist fixiert. Sehr viele Parameter sind fixiert.

Die Anzahl der Ventile auch, oder?

Ja, ist auch fixiert. Aber das ist schon länger fixiert auf vier Ventile.

Das ist dann also für einen Motorenbauer keine Herausforderung, oder?

Nicht so richtig. Ich habe Rennsport aus Leidenschaft für die Entwicklung gemacht. Und das ist jetzt nicht mehr vorhanden.

Sind sind dann in die MotoGP gewechselt…

Ja, aber das Projekt wurde gestoppt, wir konnten dafür keine Sponsoren finden. Das haben wir vor etwa einem Jahr eingestellt. Aber wir machen weiterhin die Entwicklung für die IRL und in der NASCAR für Penske. Den Motorradmotor fahren wir noch ein wenig auf dem Prüfstand – aber das war ein wirklich interessantes Projekt, denn da war das Reglement richtig offen.

Jetzt soll ja dieser Weltmotor eingeführt werden – haben Sie vor, sich da zu bewerben.

Das ist noch nicht so weit – man spricht von einem Weltmotor, aber das Reglement ist noch nicht definiert und man weiß noch nicht wirklich, wo es hin geht. Zurzeit ist die Rede von einem Vierzylinder-Weltmotor.

Finden Sie diese Idee gut? Oder ist das dann nicht noch mehr Vereinheitlichung?

Gut, das basiert auf einem Serienmotor. Das ist natürlich ein großer Schritt weg vom traditionellen Rennmotor, den wir heute haben. Das heißt natürlich, dass man dann mit Aufladung und so weiter arbeiten muss. Das kann natürlich – wenn das Reglement offen ist – sehr interessant sein.

Wenn man in 100 Jahren so eine Oldtimer-Veranstaltung wie die Ennstal Classic, mit den aktuellen oder bald kommenden Autos abhält, haben dann alle den gleichen Motor und die Autos sehen dann alle gleich aus – ist das nicht eine Angst einflößende Perspektive?

Ja, ich finde nach wie vor, dass die Vielfalt etwas Schönes ist, im Automobilbau und vor allem im Rennsport.

Aber es wäre wahrscheinlich nicht leistbar, würde man beispielsweise in der Formel 1 die Motorenformal freigeben?

Ja, weil einige in die falsche Richtung entwickeln würden und die dann wieder umdrehen müssten. Aber es gibt ja Bestrebungen, dass man künftig Motoren nicht mehr nach Hubraum begrenzt, sondern dass man den Energieverbrauch festlegt. Das könnte ein Ansatz für die Zukunft sein – dann wäre es wieder frei, wie der Motor aussieht.

Ist bei einer Verbrauchsformel nicht die Gefahr gegeben, dass am Ende eines Rennens Treibstoff gespart werden muss?

Ja und nein. Man möchte den maximalen Durchfluss von Energie definieren, das würde dann einmal die Leistung beschränken. Aber zusätzlich soll auch die Gesamtmenge definiert werden. Wer dann den effizientesten Weg findet, der wird ganz vorne sein.

Gibt es da ein Konzept, von dem Sie sagen würden, das wäre bei einer solchen freien Formel am besten geeignet?

Die Frage kommt zu früh. Es kommt darauf an, wie viel Energie man zur Verfügung hat, welchen Leistungsbereich man erzielen soll und kann.

Würde man dann nicht wieder verführt werden, ganz viel Geld auszugeben? Vielleicht wäre dann ja in Monaco ein anderer Motor gut wie in Monza?

Eigentlich nein. Das glaube ich eigentlich nicht – wenn der Motor eine gute Charakteristik hat, von der Fahrbarkeit her, dann kann man damit in Monaco und auch in Monza fahren.

In Österreich hat Stohl Racing erfolgreich einen Erdgasmotor gebaut, es gab bereits Gesamtsiege in der ÖM, als man nach Alternativreglement fuhr. Man fährt auch jetzt, in der großen Division vorne mit. Nur: Die FIA hat international noch keine Möglichkeit für eine Teilnahme. Was halten Sie von alternativen Antriebsformen?

Ich glaube, dass es da ganz sicher sehr gute Ansätze gibt, aber: Es wird schwierig, wenn man in der gleichen Kategorie unterschiedliche Antriebsarten hat. Weil es dann schwierig wird, die richtig einzustufen. Einer wird dann bevorzugt, dann schiebt man das Reglement hin und her. Man braucht nur nach Le Mans zu sehen, mit dem Diesel- und dem Benzinmotor. Da wäre das Konzept mit der Energieeinheit schon viel besser, dann könnte man auch mit alternativen Antriebsformen arbeiten. Die Frage ist nur: Gibt es ein System, das die Energie ausreichend genau messen kann? Eines, das nicht von außen beeinflusst werden kann?

Gibt es eines?

Als Prototyp gibt es eines, aber wie gut das wirklich ist, weiß ich noch nicht. Es müsste theoretisch möglich sein. Wir haben über ein solches System schon am Ende der Siebzigerjahre diskutiert. Aber es kam dann nie so weit.

Als es diese erste Energiekrise gab?

Ja, genau. Da hat man diesen Ansatz bereits diskutiert – aber das wäre ein rein mechanisches System gewesen, ohne Elektronik. Heute, mit der Elektronik, kann man natürlich sehr viel mehr machen.

Sie sind also derzeit in der IRL und der NASCAR tätig – gibt es sonst noch neue Pläne bei Ilmor?

Ja, wir bauen einen Fünftaktmotor – das ist ein Benzinmotor, der wesentlich sparsamer ist als die herkömmlichen Viertaktmotoren. Unser Ziel ist dabei, dass wir vom Verbrauch her wirklich einen großen Sprung machen können.

Was macht der fünfte Takt?

Das ist eine zusätzliche Expansion. Wir haben zwei Arbeitszylinder und in der Mitte einen zusätzlichen Expansionszylinder – damit können wir eine wesentlich größere Expansion des Abgases nutzen und wir konnten den Wirkungsgrad für den Verbrauch um fast 22 Prozent verbessern. Das System wurde von einem Belgier erfunden, ich habe mir das Konzept angeschaut und es für sehr interessant befunden. Es wird derzeit nur als Prototyp auf dem Prüfstand eingesetzt – es hat sich erwiesen, dass dieses Prinzip funktioniert und wir sehen das Aggregat als Motor für einen seriellen Hybrid. An der Entwicklung sind wir jetzt schon drei Jahre dran. Außerdem haben wir auch einen Motor für eine Zielerkennungsdrohne entwickelt, die mit Propellerantrieb betrieben wird.

Und die fliegt jetzt über Brixworth?

Ja, manchmal. Die ist ziemlich groß.

Wie viele Leute arbeiten heute bei Ilmor Engineering?

54 in England und 72 in Amerika.

Also sitzen Sie sehr viel im Flugzeug?

Nicht so oft, ich versuche die Flüge zu reduzieren. Man kann heutzutage ja mit modernen Mitteln kommunizieren.

Können Sie sich ein Comeback in der Formel 1 vorstellen?

Wenn die Bedingungen passen, wenn es wieder auf Kreativität ankommt, wenn also das Reglement wie vorhin besprochen über den Energieverbrauch definiert werden sollte, dann wäre das für uns schon auch wieder ein Thema. Wir werden ja sehen, wie es weitergeht.

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