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Blick voraus

Auch wenn die Optik sehr an den alten VW Bus erinnert – der Palten Diesel war in vielen Bereichen dem Millionenseller voraus. Der Transporter aus der Steiermark schaffte es aber dennoch nie auf die Straße.

Roland Scharf

Zur Vorgeschichte, wer oder was Palten überhaupt ist oder war: Die Palten Stahlindustrie Ges.m.b.H war eine Metallverarbeitungsfirma aus Rottenmann in der Steiermark, die sich im Zweiten Weltkrieg vor allem um Rüstungsbelange kümmerte. Nach dem Krieg schnappten sich die russischen Besatzungsmächte sämtliche Anlagen als Kriegsbeute, entsprechend suchte man natürlich nach einer Möglichkeit, den ziemlich leeren Großbetrieb irgendwie anders auszulasten. Und wie so viele andere dachte man da natürlich an das Wirtschaftswunderkind schlechthin: das Auto.

Ein Pkw wäre aber nicht das Richtige gewesen. Ein Land musste schließlich erst wieder auf die Beine kommen. Und da war nach dem Krieg natürlich ein Transporter das Maß der Dinge. Wie gut, dass das zuständige Ministerium in Wien derlei Projekte finanziell unterstützte. Entsprechend liquid konnte man sich also ans Werk machen. Als Partner für die Planung wählte man AVL List aus Graz aus, und als Vorbild den gerade erst auf dem Markt erschienenen VW Transporter, oder schlicht Typ 2. Man musste ja irgendwo anfangen, und was sich heute schick Benchmark Test nennt, war früher einfach das Suchen nach Vorbildern, die wahrlich spärlich gesät waren.

Ob das zugesprochene Budget der Regierung gereicht hat? Das lässt sich heute natürlich schwer sagen. Schließlich erledigte man nur die Chassisentwicklung im Paltental. Die Fertigung der Karosserien überließ man dann schon Westfalia in Deutschland, die später die Campingmobile auf VW-Basis bauen sollten. Und das große Ganze hatte ja AVL im Blick, was im Laufe der Geschichte noch wichtig werden sollte.

Dass die ersten Prototypen dem Original aus Hannover ziemlich ähnlich sahen (Westfalia arbeitete schließlich schon damals eng zusammen), darf man aber dennoch nicht als schlichtes Kopieren falsch verstehen. An der Grundform des Schuhkartons kann man einfach nichts verbessern, wenn es um ein Maximum an Platz geht. Als findiger Steirer dachte man aber schon ein paar Schritte voraus und besserte einige Patzer des VW gleich einmal aus. Die Windschutzscheibe war nicht mehr zweigeteilt, sondern bestand aus einer großen Panoramascheibe, wie es VW erst 15 Jahre später realisieren sollte. Die Vorderachse war keine Bundbolzenachse, sondern eine mehr als moderne Doppelquerlenkerkonstruktion, wie sie bei VW überhaupt erst 20 Jahre später zum Einsatz kommen sollte. Und im Heck ging man überhaupt völlig eigene Wege und verbaute einen Diesel – auch hier war man der Konkurrenz um Jahrzehnte voraus.

So toll das alles auch klingt – der kleine V2-Motor mit Luftkühlung von der einst großen Wiener Motorenfabrik Warchalovski hatte gerade einmal einen Liter Hubraum und 27 PS, was für 75 km/h Höchstgeschwindigkeit gut war. In Anbetracht des Leergewichts von einer Tonne und 800 Kilogramm Zuladung zwar ein mehr als respektabler Wert. Alles in allem aber selbst für die Zeit keine heiße Nummer, aber dennoch wäre ein Markterfolg zu einer Zeit des allerorts herrschenden Missstands durchaus plausibel gewesen.

Jedenfalls fertigte man fünf Prototypen, teils Busse mit drei Sitzreihen, teils Transporter und Pritschen und ging damit auf Werbetour. Ausgerechnet auf so einer Messe in Wien sahen 1954 just Leute von den Lohner Werken (ebenfalls ein österreichischer Fahrzeugbauerbauer aus der Frühzeit) das Konstrukt und fühlten sich urplötzlich an einen Auftrag zurückerinnert, denen sie AVL erteilten: Nämlich genau so einen Transporter zu bauen! Tatsächlich entstanden auch am Firmensitz in Wien Donaustadt eine handvoll Prototypen, die dem Palten verblüffend ähnelten, sich aber als unbrauchbar erwiesen, was Haltbarkeit und Fahrleistungen betraf. Lohner verwarf also das Projekt, zumal zu dem Zeitpunkt auch der VW Bus seinen Siegeszug antreten sollte. Dennoch fühlte man sich beim Anblick des Palten ein wenig verschaukelt und klagte von den Palten Werken entsprechend die Entwicklungskosten ein – welche Rolle in diesem Schlamassel AVL spielte, die jeweils für die Projektleitung verantwortlich zeichneten, kann retrospektiv jedenfalls nicht mehr eindeutig gesagt werden.

Sehr ärgerlich war das natürlich so oder so, wo der Wagen gerade erst serienreif war. An eine Produktion war aber dennoch nicht mehr zu denken, wobei es nicht mehr ganz klar ist, was jetzt wirklich der ausschlaggebende Grund war. Fakt ist jedenfalls: Palten wollte mit dem Projekt nichts mehr zu tun haben, mit ziemlicher Sicherheit aufgrund akuten Geldmangels. Und AVL, die bereits an Lohner und auch an Palten verdient haben, fädelten 1955 einen Deal mit dem spanischen Nutzfahrzeughersteller Fadisa ein, der sämtliche Produktionswerkzeuge und die Konstruktion übernahm und für den Heimmarkt 1956 2.000 Exemplare fertigte.

Und so bleibt natürlich nur noch die eine Frage, die sich jetzt vermutlich jeder Enthusiast stellt: Was wurde aus den fünf serienreifen und funktionstüchtigen Fahrzeugen? Einer davon lief bis weit in die 1960er-Jahre ausgerechnet bei Lohner auf dem Betriebsgelände. Die anderen gingen vermutlich an private Hände, wobei davon ausgegangen werden kann, dass der letzte bereits 1972 verschrottet wurde.

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