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Helden auf Rädern: VW 1500 Rural

Geliebter Fremdkörper

Ein Auto, das nach mehreren Umbenennungen, Joint Ventures, Pleiten, Übernahmen und Facelifts nach wie vor durch seine Qualitäten überzeugen konnte, kann ja nicht so schlecht sein. Die Geschichte des VW 1500 Rural zeigt, worauf es eigentlich ankommt.

Roland Scharf

VW kommt aus Wolfsburg, klar. Und der 1500 ist ein luftgekühlter Heckmotor-Zweitürer, auch klar. Oder? Die Geschichte dieses 1500 mit dem Beinamen Rural ist indes eine völlig andere, und sie startet weit weit weg vom Mittellandkanal, nämlich im englischen Ryton-on-Dunsmore. Dort befand sich das Stammwerk der Rootes Gruppe, die zu Beginn der 1960er dringend einen neuen Mittelklassewagen benötigte. Die finanzielle Lage war ohnehin schon grenzwertig, ein Verkaufserfolg also dringend erforderlich, und obwohl man sich wirklich bemühte, gelang es nicht, den neuen Wagen, Codename Arrow, vor der endgültigen Pleite auf die Straße zu bringen. Chrysler, seinerzeit dank opulenter Muscle Cars auf einem echten Höhenflug, lechzte förmlich danach, sich in Europa breitzumachen und war ohnehin gerade auf großer Einkaufstour. Also schnappte man sich neben Simca in Frankreich und Barreiros in Spanien auch die Rootes Group. Und alles zusammen firmierte künftig unter Chrysler Europe.

Der Hillman Avenger ist also das erste (und letzte) Auto von Rootes, das unter der neuen Flagge das Licht der Welt erblickte. Man hatte großes vor damit. Ein Weltauto sollte daraus entstehen, schließlich war man ohnehin auf dem gesamten Planeten fast überall mit einer Niederlassung vertreten. Und außerdem ließe sich so dank Gleichteileprinzip gehörig Geld sparen. So auch in Südamerika. Argentinien galt zu Beginn der Siebziger als aufstrebender Markt, also stampfte man gleich ein Werk aus dem Boden und vermarktete den Avenger als Dodge 1500. Spätestens jetzt fing der Plan des Weltautos an, ein wenig zu bröckeln.

Einmal, weil man doch weit höhere Kosten hatte, wenn man vor Ort produziert. Und einmal, weil man lokale Geschmäcker treffen muss, was nur mit diversen Änderungen und neu zu fertigenden Teilen möglich ist. So unterscheidet sich der Dodge vom Hillman durch andere Heckleuchten, Feinheiten im Innenraum und spezielle Modellvarianten. Ein Schachzug mit Erfolg, denn tatsächlich verkaufte sich der Dodge in Südamerika erstaunlich gut. Weit besser jedenfalls als der Avenger in all seinen anderen Ausprägungen im Rest der Welt, wo sich langsam aufzeichnete, dass die ambitionierten Pläne von Chrysler nicht wirklich umsetzen ließen. Mitte der 1970er schreitete schließlich die britische Regierung ein, um zu retten, was noch zu retten war, und als einer der ersten Schritte verschwanden alle bisherigen Namen des Konglomerats. Somit hieß auch der Hillman Avenger künftig Chrysler Avenger. Da auch die Einsparungspläne nichts nutzten und Chrysler in den USA selbst kurz vor dem Abgrund stand, ging der Rest des Europageschäfts an Peugeot, und die ohnehin verwirrte Kundschaft musste nun damit leben, dass alle Autos fortan Talbot heißen sollten – was übrigens auch nichts nutzte.

In Argentinien indes hielt man sich mit soliden Verkaufszahlen des 1500 erfolgreich über Wasser. Es gab immer wieder Facelifts und Updates, zum Ende des Jahrzehnts hin sogar endlich einen Kombi, doch ohne der Unterstützung und schützenden Hand der Mutter aus Detroit war 1980 auch kein Weiterkommen mehr. Das englische Werk war sogar schon zwei Jahre zuvor geschlossen worden, es fehlte also auch an Teilenachschub, sodass der Chrysler Group nichts anderes übrig blieb, als das gesamte Argentiniengeschäft an Volkswagen zu verkaufen. Die wollten sowieso mehr in diesem Land machen. Und da erwies sich der Kauf nämlich als echter Glücksgriff. Ein bestens eingeführtes Modell, das dank seiner Simplizität und Robustheit genau den Geschmack des Publikums traf, war ideal, um Fuß zu fassen. Behutsames Vorgehen war also das Gebot der Stunde weswegen man zu Beginn nicht einmal den Namen änderte. Man fügte dezent unterhalb des Schriftzugs nur ein „made by Volkswagen Argentina“ hinzu.

Erst 1982 war man selbstbewusst genug, im Rahmen eines weiteren Facelifts Farbe zu bekennen. Ab sofort hieß der Wagen offiziell VW 1500, der Kombi 1500 Rural und man änderte nicht nur alle Teile, auf denen sich das VW-Emblem befand. Auch der Innenraum wurde komplett aufgefrischt, Rücklichter und Felgen der Konzerndesignsprache angepasst und die hinteren Seitenscheiben waren künftig einteilig – ein Treppenwitz, wenn man bedenkt, dass die europäischen VW seinerzeit alle im Fond Dreiecksfenster hatten. Das reichte jedenfalls, um noch bis 1990 erfolgreich im Programm zu bleiben, was zu einer skurrilen Fußnote führte: Ausgerechnet der ersten Fremdkonstruktion – noch dazu mit Technik aus den 1960ern – verpasste VW in Argentinien den Werbespruch „Er läuft und läuft und läuft und…“

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