CLASSIC

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

Advantage Andre

Die Eckdaten versprachen einen Supersportwagen mit ungeahnt viel Leistung und brutaler Optik. Die Realität bescherte dem Vector W8 allerdings ein Schicksal, das ihn von allen Seiten torpedierte.

Roland Scharf

Talentierte Ingenieure aus großen Konzernen haben von dem starren Betondenken ihrer Vorstände genug und machen sich selbstständig, um ihren großen Traum vom eigenen Auto zu verwirklichen. Stoff für große Hollywood-Filmchen. Oder für absolute Horror-Geschichten in der echten Welt, wie es sie in der Geschichte ja schon das ein oder andere Mal gegeben hat. Vor allem aus dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Preston Tucker zum Beispiel, der die Tucker Corporation gründete, um den Tucker Torpedo zu bauen – und gnadenlos scheiterte. Oder John DeLorean, der die DeLorean Motor Corporation gründete, um den DeLorean DMC12 zu bauen – und gnadenlos scheiterte. In beiden Fällen muss man sagen, dass es an vielen Punkten scheiterte. Dass die Autos an sich aber auch keine Chance hatten, weil sie schlicht unausgereift und nicht wirklich solide konstruiert waren, bleibt in den Geschichtserzählungen nämlich oft unerwähnt.

Aber bei Vector? Da klang der Plan des ersten Modells, dem W8, gar nicht einmal so unübel. Doch der Reihe nach. Gerald Wiegert war ein talentierter Ingenieur bei General Motors, der Anfang der 1980er das Gefühl hatte, dass die hauseigene Corvette noch nicht das Ende des sportlichen Wirkungsgrad sein konnte. Da muss noch mehr gehen. Viel mehr, um genau zu sein. Seine Bosse winkten ab. Nichts für den Massenmarkt, zu heikel die rechnerische Seite, und dazu eine übermächtige Konkurrenz aus Europa, die den Markt der leistungsstarken Exoten fest in ihren Händen hatte. Wiegert wusste: Wenn er diese Vision verwirklichen wollte, musste er es auf eigene Faust machen.

Also gründete er die Vector Aeromotive Corporation. Und der Beiname sagte schon viel darüber aus, welche Bautechniken und Materialien er zu verwenden gedenkte. Innovativ war zur damaligen Zeit wirklich, Verbundmaterialien zu verwenden. Oder viel Aluminium, natürlich streng nach Luftfahrt-Spezifikation. Es dürfte aber irgendwie dem motivierten Techniker inne wohnen, dass er wirtschaftlich nicht ganz so auf Zack ist, und so geriet die Bude schon früh in leichte Bedrängnis. Einen eigenen Motor oder gar ein eigenes Getriebe zu entwickeln, scheiterte schon einmal am Budget. Man bemühte die alten GM-Kontakte und nahm den Chevy-Smallblock-V8 also als Basis. Zwei Turbolader verhalfen dem Sechsliter-Motor aber schon einmal locker zu mehr als 1.000 PS, was vor über 30 Jahren wirklich jedem die Socken auszog.

Und welches Getriebe hielt das aus? Da half auch wieder General Motors, wobei hier die ersten zweifelhaften Entscheidungen endgültig sichtbar wurden. Man griff zur Dreigang-Automatik aus dem frontgetriebenen Oldsmobile Toronado, das für kompakte Bauform über einen Kettentrieb von den Gangwellen zum Differenzial verfügte. Eine Lösung, die sich wahrlich nicht durchgesetzt hat, weswegen diese Technik zur Zeit, als der W8 konzipiert wurde, schon 20 Jahre auf dem Buckel hatte. Wirklich abenteuerlich wurde es dann bei der Hinterachskonstruktion. Sie verwendet ein De Dion-Rohr als Basis, ist also eine Starrachse, bei der das Differenzial allerdings fix am Fahrzeug montiert war.

All das unter einen drahtisch geformten Kevlar-Body zu zaubern und in das Alu-Monocoque zu pressen, war natürlich alles andere als ein Kinderspiel. Viel Platz im Motorraum war nicht, die Abwärme der zwei Turbos war alles andere als eine Kleinigkeit, die man erst einmal in den Griff kriegen musste. Dennoch – oder gerade deswegen – machte Vector schon in der Frühphase der Entwicklung eifrig Werbung. Zu Zeiten von Top Gun und Rambo war ein Auto mit dem Flair einer F-16 natürlich ein echter Knaller, und tatsächlich trudelten schon die ersten Bestellungen ein, noch bevor irgendein Interessent das Auto auch nur gesehen hatte. Das war aber noch nicht einmal das größte Problem.

Die Entwicklung gestaltete sich dermaßen aufwändig, dass Vector den Preis mehrmals nach oben korrigieren musste, ehe es endlich einmal einen Prototypen zu sehen gab. Trotzdem wollten die treuesten Fans an ihren Vorverträgen festhalten, und einer davon war der damalige Paradiesvogel und Tennisprofi Andre Agassi. Er wollte sogar dermaßen unbedingt seinen W8 haben, dass man ihm nicht nur versprechen musste, den allerersten zu liefern. Er bekam ihn sogar noch bevor er ihn überhaupt anmelden konnte, weil die Abgastests noch nicht absolviert waren. Ein Akt der Unprofessionalität? Vielleicht benötigte Vector nach knapp zehn Jahren Entwicklung endlich auch einmal ein wenig Kohle, jedenfalls wartete Agassi geduldig die Typenprüfung ab, ehe er endlich losdüsen konnte.

Als die Autos dann wirklich das Laufen gelernt hatten, waren die Reaktionen sehr unterschiedlich. Manche liebten ihn. Manche überhaupt nicht. Unbestritten waren jedenfalls die zahlreichen Klagen über miese Verarbeitung, und ein amerikanisches Automagazin konnte sogar nicht einmal den Test absolvieren, weil alle drei zur Verfügung gestellten W8 nacheinander eingingen. Da gingen coole Features leider völlig unter. Etwa dass das Cockpit eigentlich nur aus einem großen Display bestand. Und zirka 300 Knöpfen. Und Bedienelementen aus dem alten Camaro. Aber allein die Flügeltüren rechtfertigten für viele schon die Wartezeit, um endlich einmal auf den feinen Ledersitzen Platz nehmen zu können. Ja und dann läutete Herr Agassi auf einmal wieder an.

Sein W8 habe Feuer gefangen, während der Fahrt, zeigte sich der Tennisspieler sichtlich verärgert, und zwar hinter den Sitzen, also dort, wo vom Motor weg der Auspuff sich nach hinten schlängelte. Das war natürlich ein unglaublicher Schaden, der auch nicht wegging, als man das Auto Agassi wieder abkaufte. Zwar waren bis dahin schon 17 Autos ausgeliefert (oder gebaut, so genau weiß das heute keiner mehr), für die ohnehin schon klamme Firma war das natürlich ein endgültiger Todesstoß. Weigert musste nach Konkurs verkaufen, ließ es sich aber nicht nehmen, den neuen Eigentümer zu verklagen, diverse Unterlagen und Designmuster herauszurücken. Er gewann den Prozess sogar, die angedachten Nachfolger blieben im Endeffekt aber nur Evolutionsstufen mit Stückzahlen im Bereich von plus minus 1.

Ähnliche Themen:

News aus anderen Motorline-Channels:

Helden auf Rädern: Vector W8

Weitere Artikel:

Gleich, aber nicht

Helden auf Rädern: VW Mitra

Dieser VW Transporter ist kein VW Transporter. Oder zumindest nur teilweise. Jedenfalls nicht so, wie man es anhand der Optik vermuten würde. Eine wirre Geschichte, die nicht lange gutgehen konnte.

Gutes Rezept, falscher Zeitpunkt

Helden auf Rädern: MG ZS 180

Als praktisch alles schon verloren war, lieferte MG Rover ein Paradebeispiel für cleveres Engineering. Vor allem, weil der ZS ursprünglich der Unsportlichste der Modellpalette war.

Kooperationen und Übernahmen unter Konzernen sind wahrlich keine Erscheinung der Neuzeit. Und dennoch hat der Zusammenschluss, der zum Ford Corcel führte, eine ganz sonderbare Wendung, die zeigt, wie wirr und verworren ehemals die Verbandelungen unter den Autoherstellern waren.

Kleiner Bruder, das Luder

Helden auf Rädern: Renault 6

Plattformübergreifende Entwicklungen waren schon in Mode, bevor sie wirklich in Mode kamen. Im Falle des Renault 6, brachte das Gleichteileprinzip aber fast mehr Nach- als Vorteile mit sich.

Der optimale Weg zum Traum-Oldtimer

Einen Oldtimer in die Niederlande importieren

Oldtimer aus Übersee sind in Europa sehr beliebt! Das liegt oft daran, dass es viele gewünschte Modelle hierzulande nicht gibt oder diese einen eher schlechten Zustand aufweisen. Ein Import aus den USA ist daher für viele Autoliebhaber eine valide Alternative und den Aufwand auf jeden Fall wert.

Der Saft des frühen Blitzes

Helden auf Rädern: Opel Kadett Impuls

Viele Hersteller probierten schon vor einem halben Jahrhundert, normale Autos zu elektrifizieren. Opels Ansatz beim Kadett Impuls war dagegen schon einen Schritt weiter.