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Helden auf Rädern: Renault 6

Kleiner Bruder, das Luder

Plattformübergreifende Entwicklungen waren schon in Mode, bevor sie wirklich in Mode kamen. Im Falle des Renault 6, brachte das Gleichteileprinzip aber fast mehr Nach- als Vorteile mit sich.

Es lag wohl etwas in der Luft, Ende der 1960er-Jahre. Auf der ganzen Welt versuchten sich die Autohersteller in neuen Konzepten und Formen, riskierten mehr denn je zuvor und danach. Geld saß noch ziemlich locker, das Wort Ölkrise fand man nicht einmal im Duden und in all der Schwärmerei von einer besseren Zukunft kann es schon einmal passieren, dass man die wesentlichen Fakten ein wenig übersieht. In Paris war das seinerzeit gleich an mehreren Orten auszumachen.

Da gab es zum Beispiel Citroen. Die hatten mit dem 2CV ein echtes Zugpferd im Stall. Warum also nicht auf dessen Basis gleich zwei neue Modelle lancieren – das wären ja dann die dreifachen Verkaufszahlen bei minimalem Entwicklungsaufwand. Sowohl Dyane als auch Ami 6 konnten aber nicht einmal annähernd an die Beliebtheit der Ente anknüpfen, was dem ein oder anderen wohl zu denken gab. Bis Renault das aber überriss, war es vermutlich schon etwas zu spät, denn dort hatte man den gleichen Einfall: Warum nicht einen größeren Wagen auf Basis des Renault 4 bauen?

Immerhin, die Technik war ja eh schon da, die Kosten längst abgeschrieben und die Köpfe der Techniker voller kreativer Ideen. Es war die Zeit der freien Geister, und so kam man auf die Idee: Bauen wir mit dem R6 doch einfach ein völlig neues Fahrzeugkonzept! Ohne zu übertreiben kann gesagt werden, dass der R6 mit seinen 3,8 Metern Länge wohl das allererste MPV der Menschheitsgeschichte war: Kompakte Abmessungen, hohe Karosse, große Türen, große Heckklappe, all das schrie nach maximalem Platz im Innenraum bei minimalem Platzbedarf auf der Straße – die Leute mussten das ja einfach lieben. Alles wirkte auch solider und erwachsener als beim R4, was ja an sich ur super ist. Nachdem man aber wie gesagt die gesamte Technik vom wesentlich leichteren kleinen Bruder übernahm, konnte man sich ausmalen, was unterm Strich dann raus kam.

Tatsächlich hatte der 845-Kubik-Motor ziemlich zu kämpfen. Und zwar so sehr, dass er nicht nur schlechter ging und mehr soff als der R4. Sogar der Vorgänger namens R8 mit seinem größeren und im Heck montierten Motor hatte keine Probleme, den Neuling sowohl beim Verbrauch als auch bei den Fahrleistungen dezent auszubremsen. Man tat also das einzig logische: 1970, nur zwei Jahre nach der Markteinführung, nahm man genau jenen (doch schon etwas älteren) 1100er des R8 und pflanzte ihn in den 6er, was die Leistung von 34 auf stattliche 45 PS anhob. Weil das aber doch ein wenig zu viel für die Karosserie war, musste man für den erhöhten Kühlungsbedarf unter dem Kühlergrill noch einen Kühlergrill montieren, damit nicht erst der Motor und dann der Fahrer zu kochen anfing. Dass der so heftig kritisierte Basismotor aber weiterhin im Programm blieb, kann man als goldene Anekdote im Buch der Erinnerungen eintragen.

Vor allem deswegen, weil der R6 schön langsam auf verlorenem Posten unterwegs war. In seiner Klasse zeichnete sich immer mehr ein Trend ab, der kompakte Formen, schräges Heck und große Klappe beinhaltete. So gab es zwar noch zwei Facelifts, an der grundsätzlichen Technik beließ man es bis zum Produktionsende 1980 (1986, wenn man Südamerika dazurechnen möchte) aber. Die Zeit war einfach noch nicht reif für Multi Purpose Vehicle, denn bereits 1974 kam der erste echte Nachfolger auf den Markt, der die Marke mit der Raute bis heute prägen sollte: der R5. Da man sich aber nicht so sicher war, ob der auch wirklich ausreicht, weil er ja doch arg klein und lieb war im Vergleich zum 6er, setzte man einfach noch eins drauf und brachte 1976 den R14 als wahren Golf-Gegner, für den man sogar eine neue Fabrik aus dem Boden stampfte. Dass der Kleine sich nachhaltig durchsetzen und der Große aber zum Rohrkrepierer werden würde, überraschte dann doch wieder alle. Doch hätte man zumindest das nach dem R4/R6-Kapitel gelernt haben sollen.

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