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Helden auf Rädern: Jaguar X-Type

Wenn Yankees Tee kochen

Jaguar ist nicht unerfahren darin, sich neu zu erfinden. Beim X-Type lief eine an sich coole Idee aber aus dem Ruder, weil Ingenieure, Konzernlenker und Strategen alle das Richtige wollten – die Kombination aber nur einen Rohrkrepierer zuließ.

Roland Scharf

Um die guten Vorsätze und das bittere Auskommen des X-Type ins rechte Licht zu rücken, muss man sich vorab die Konstellation ansehen, die vor 25 Jahren Marken neu zusammenwürfelte und Konzerne versuchten, Luxus ökonomisch schlau zu bündeln – was an sich schon ein Widerspruch ist. Seinerzeit jedenfalls kam man bei Ford in Dearborn auf die Idee, auf große Einkaufstour zu gehen. Vermutlich, weil man das beim ewigen Konkurrenten General Motors auch tat, griff man im Süßigkeitenladen namens Europa eifrig zu und schnappte sich, was gerade so am Markt war. Da gab es zum Beispiel Volvo, Aston Martin, dann auch noch Range Rover und – richtig – Jaguar. Als Hauptsitz wählte man London, den Vorsitz übernahm BMW-Spezi Wolfgang Reitzle und unter dem neuen Label wollte man das Premium-Segment strategisch klug gegliedert von vielen Seiten einnehmen. Dazu gehörte natürlich auch, sich ein wenig nach unten zu orientieren, sprich: in neue Segmente einzutauchen, die bislang nicht von den erwähnten Marken abgedeckt wurden. Das Problem hierbei: Sind diese Segmente in einem niedrigeren Preisniveau angesiedelt, muss man auf die Kosten verdammt aufpassen, und genau hier startete das Dilemma des X-Type.

Alles musste natürlich in einem überschaubaren finanziellen Rahmen passieren, also blieb nur übrig, sich an einer bestehenden Plattform im großen Ford-Konzern zu bedienen. Volvo? Alles zu groß. Range Rover? Zu geländig. Blieb nur Ford, und da man somit Heckantrieb schon nicht bewerkstelligen konnte, musste es zumindest die Option für Allrad sein, womit die Wahl auf den Mondeo als Basis fiel – allerdings auf die alte. Der für 2000 geplante Neue war dafür nämlich nicht vorgesehen, womit der teurere Jaguar gleich automatisch die schlechtere Technik bekam.

Dazu kam die Sache mit der Karosserie. Ein Coupé war technisch aufgrund der Basis nicht machbar, also blieb die Limousine. Typisch Jaguar natürlich, aber damals war die Welt gerade voll im Kombi-Modus, und davon gab es bei den Mitbewerbern – auch beim Mondeo – jede Menge. Und dann blieb da noch das Design. Um es zusammenzufassen, was da passiert ist: X-Type und – noch mehr – der S-Type sahen eher so aus, wie sich Amerikaner ein britisches Auto vorstellen. Aber nicht so, wie ein moderner Jaguar. Man hatte es also beinahe mit einer Persiflage dessen zu tun, was in der englischen Autoindustrie über Jahrzehnte schief lief und schlussendlich zur kompletten Zerschlagung führte: Überholte Technik. Schrulliges Design. Traurige Verarbeitung. Denn natürlich sollte der neue Wagen daheim in England produziert werden. Die Übersetzung und Zusammenfassung der aus der ganzen Welt angelieferten Komponenten führte zu Beginn zu einem riesigen Chaos und einer Qualität, die eines echten Jaguar alles andere als würdig war.

Man kann sich also vorstellen, wie die Entwicklung abgelaufen sein musste. Man bekam Teile geliefert, die man nicht wollte. Musste ein Auto konstruieren, das alles aber kein echter Jaguar war. Und all das zu einem Budget, das keinen wirklich motivierte, alles zu geben. Die ersten Versuchsträger mussten so furchtbar gewesen sein, dass man für die Testfahrer von Magna, die seinerzeit die Dauerläufe übernahmen, extra Schallplatten mit ausgewiesener Entspannungsmusik pressen ließ, um sie nach den Proberunden vor einem Komplettabsturz zu bewahren.

Zu seiner Präsentation zur Jahrtausendwende galt der X-Type also als kein sonderlich großer Wurf. Ambitioniert zwar, aber gegen die seinerzeit neu aufgelegten Mitbewerber von Audi, BMW und Mercedes aber schon um gut eine Generation hinten nach. Und schlimmer noch: Auch der hauseigene Kollege namens Mondeo konnte praktisch alles besser, kostete aber um ein Eck weniger. Hastig schob man Diesel und kleine Benziner rein mit Frontantrieb nach, brachte auch noch einen Kombi auf den Markt, der überraschen schick war – platzmäßig aber wieder nicht das bot, was man sich für einen Premiumpreis erwarten würde. Das ganze altmodisch anmutende Holz im Innenraum konnte die angepeilte traditionelle Klientel auch nicht mehr umstimmen und war zudem chancenlos gegen die seinerzeit vorherrschende Carbon-Mode, dazu gab es ein Fahrwerk, das irgendwie nicht Recht wusste, ob es lieber bequem oder sportlich sein wollte. Schlimm insofern, weil die immer stärker und schneller werdenden M- und RS- und AMG-Versionen der angepeilten Mitbewerber zeigten, in welche Richtung dieses Segment noch gehen würde. Aber da war es für den X schon zu spät.

Als es 2008 nach zwei Überarbeitungen schließlich zu Ende war, bekam das kaum einer mehr mit, zumal Ford zur Finanzkrise ganz andere Sorgen hatte als ein Nischenprodukt neu aufzulegen. Generell bemerkte man, dass die Idee mit der PAG wohl eher etwas für das Geschichtsbuch wäre und veräußerte alles, was sich zu Geld machen ließ. Und dazu gehörte eben Aston Martin, Volvo und Jaguar/Land Rover. Dass die neuen Eigentümer aus Indien noch sieben Jahre brauchen würden, um einen Nachfolger auf die Räder zu stellen, tat der ganzen Sache auch nicht wirklich Gutes.

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