
Helmut Zwickl Kolumne | 27.12.2008
Der abgeschnittene Mount Everest
motorline.cc-Stargastautor Helmut Zwickl über eine zurechtgestutzte Formel 1, welche die Bezeichnung „Gipfel des Motorsports“ nicht mehr verdient.
von Helmut Zwickl
Nehmen wir es vorweg: die Formel 1 wird nicht zu Grunde gehen. Aber die Jahre der Geldvernichtung sind vorbei: die Zeit der Millionen-Deals von Piloten wie sie die Schumacher-Brüder oder Kimi Räikkönen tätigten, sind Geschichte. Vielleicht müssen sich die einst überzahlten Stars in Monaco oder in der Schweiz beim Arbeitsmarkt-Service um einen neuen Job anstellen.
Die Zeit ist vorbei, wo hundert Spezialisten in bis zu drei Windkanälen Tag und Nacht an einer Aerodynamik herumfeilten, die zwischen Melbourne und Interlagos vier Zehntel brachte. Die Formel 1 wird massenhaft Jobs abbauen. Die Zeit ist vorbei, wo sich die Teams wahre Kathedralen zur Selbstdarstellung im Fahrerlager errichteten. Die Zeit ist vorbei, wo sich TV-Sender wie der ORF noch länger die Formel 1 leisten können, aber auch wollen. Die Zeit des Motoren-Wettrüsten ist vorbei und das künftige Reglement wird keine Innovationen erlauben. Ein Reglement, das immer absurder wurde, weil es seit zwei Jahrzehnten durch den politischen Fleischwolf der FIA und ihren Gremien gedreht wurde, bis die Eroberung des Sinnlosen nicht mehr finanzierbar wurde, hat die Formel 1 lange vor der Weltwirtschaftskrise zum Kartenhaus stilisiert. Zuletzt hat sich die Formel 1 das KERS-System verordnet, die dafür rausgeworfenen Millionen beklagen alle Teams bis auf BMW bereits als Fehlinvestition. Jetzt führt kein Weg mehr an einem Sparprogramm vorbei. Und wenn die Werke aussteigen, nur noch Ferrari übrig bleibt, kommen halt die Einheitsmotoren, wie früher in der Cosworth-Ära.
Toro Rosso Boss Franz Tost sagte mir zu Weihnachten am Telefon: «Den Werken fällt die Abrüstung schwerer, als zum Beispiel uns. Aber wenn nicht dramatisch abgerüstet wird, ich spreche nicht von 10 bis 15%, sondern von 70 bis 80%, werden weitere Autowerke aussteigen.» Toro Rosso, verrät Franz Tost, wird nur noch Piloten einstellen, die eine Mitgift bringen. Jetzt geht’s ans Eingemachte, denn die Krise macht das Messer so scharf wie nie zuvor, das die Teams Bernie Ecclestone an die Gurgel halten: sie wollen endlich mehr Geld von ihm. Und sie wollen es am Konto. Und als sich Ferraris Montezemolo für die Teams auf die Barriere schwang und Ecclestone öffentlich erpresste, konterte Bernie cool: Ferrari soll den Mund halten, wir haben uns die Loyalität der Roten schon vor Jahren gekauft. Mit einer kleinen Zuwendung von geschätzten 30 Millionen Dollar...
Aber auch dieser Skandal ist wie so viele, im Sand verlaufen.
Um überleben zu können, wird die Formel 1 bis zum geht-nicht-mehr zusammengestutzt. Was bleibt von einer Formel 1 «minus 80%», wie Franz Tost an die Wand malt?
Das wird dann so, als würde man den Mount Everest bei 6000 Meter abschneiden. Die Formel 1 als «Gipfel des Motorsports» hat damit ausgedient.
Autor Helmut Zwickl ist neben seiner langjährigen Tätigkeit als einer der führenden deutschsprachigen Motorsportjournalisten auch Veranstalter der Ennstal-Classic, alle Infos dazu finden Sie unter www.ennstal-classic.at