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Helmut Zwickl Kolumne

„Was mir nach 40 Jahren zu Jochen Rindt noch einfällt“

Jochen Rindt und Helmut Zwickl sind auf diesem Foto zu sehen – unser Gastautor hat überlegt, was ihm nach 40 Jahren noch zu Jochen Rindt einfällt…

Helmut Zwickl
Fotos: Archiv Zwickl

Wer war Jochen Rindt, fragen sich heute die Kolumnisten - und anlässlich des Todestages, der sich am 5. September zum 40. Mal jährt, versuchen sie diese Frage zu beantworten, ohne dass sie Rindt jemals persönlich gekannt haben. Aber im Internet-Zeitalter ist ja alles auf Knopfdruck abrufbar, was jemals über Jochen Rindt geschrieben wurde, und so scheint alles ganz einfach und kompetent.

Ich war dabei, als Jochen im Februar 1963 auf dem Reifenprüfgelände Kottingbrunn zum ersten Mal in einen Monoposto-Rennwagen stieg – es war der Formel Junior Cooper von Curd Barry, ein Modell 1962. Und nach den ersten Gehversuchen kam Jochen etwas desillusioniert zurück und schimpfte: „Des is a Schas, ich siach net ausse, weil ich am Rücken lieg.“

Ich habe Jochen nach seinem Crash mit dem Formel Junior Cooper auf der Nürburgring-Südschleife ins Krankenhaus nach Adenau chauffiert. Er lag am Liegesitz neben mir, ein Häufchen Elend. Er hatte am ganzen Körper Prellungen und war so zerstört, dass ihm der Satz über die Lippen kam: „Ich bin zum Rennfahren nicht geboren, das war heute eine ernste Warnung, ich sollte aufhören.“

Dabei war er der geborene Rennfahrer.

Ich war dabei, als er 1965 in Le Mans gewann, obwohl er sich mit seinem Co-Piloten Masten Gregory ausgemacht hatte, „wir fahren sofort im Grand Prix-Stil weg, dann ist um 22 Uhr der Ofen aus, und wir können schlafen gehen.“

Ich saß neben Jochen im Ferrari LM von Gotfrid Köchert, als wir vor Trainingsbeginn zum Großen Preis von Österreich auf dem Militärflugplatz Zeltweg zwei Runden drehen durften. Jochen gewann mit diesem Auto dann das Rennen.

Ich habe noch seinen Originalton im Ohr, als er mir seinen Wechsel zu Lotus erklärte: „Bei Lotus kann ich entweder Weltmeister werden oder ich bin hin.“ Ich war dabei, als der Lotus 72 in der Saison 1970 siegfähig wurde, aber dieses extreme Konzept immer noch voller Sargnägel war.

Und ich war dabei, als er an jenem 5. September 1970 in Monza den Lotus bestieg und nicht mehr wiederkam.

Wer war Jochen Rindt wirklich?

Heute würde man sagen: Er war cool. Er hatte seine Ängste, denn Formel I fahren war zu seiner Zeit eine Sache auf Leben und Tod. Und das Überwinden der Angst war damals ein größeres Kriterium als heute die Auswahl der richtigen Reifen. Wenn er im Cockpit saß, war die Angst ausgesperrt, sonst hätte er nicht einen solchen Extremismus ins Spiel bringen können.

Er hatte alles, was einen Rennfahrer ausmacht: sagenhafte Reflexe, Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen, er konnte die schnellsten Abläufe zur Zeitlupe entschleunigen, er hatte den gewissen Killerinstinkt und er konnte auch mit einer Gurke von Auto noch brillieren, was zu seiner Zeit noch möglich war, wo sich ein Fahrer noch viel stärker in das Gesamtpaket einbringen konnte als heute.

Er brachte lässige G’schicht’n aus dem Grenzbereich herüber. Er machte für die TV-Sendung Motorama die Siegerinterviews mit sich selbst. Er war gerade dabei, das große Risiko der Anfangsjahre durch Routine und Reife abzubauen, ohne langsamer zu werden.

Zusammen mit Jackie Stewart kämpfte er für mehr Sicherheit auf Rennstrecken. Die Fundamentalisten unter den englischen Reportern rümpften die Nase: Was wollen die zwei Vollgas-Millionäre? Jetzt haben sie Geld und jetzt wollen sie sich ein schönes Leben machen? Sind das noch Rennfahrer, die ewig leben wollen? Wo kommen wir da hin, wenn Rennfahrer nicht mehr sterben wollen?

Er würde sich totlachen über die heutigen Retorten-Rennpisten mit den Auslaufzonen so groß wie der Salzsee von Utah. Hätte sein Lotus 72 bereits ein Kohlefaser-Monocoque gehabt, wäre er an die Box gelaufen und hätte seine Techniker umgebracht: Was er schon einmal angedeutet hatte, als in Clermont Ferrand die Lotus-Lenkung brach, was ihm seine Crew verheimlicht hatte.

Aber für die Kohlefaser-Epoche starb er um zwölf Jahre zu früh. Er verstand es zu leben. Müsli-Futter und Kraftkammer kannte er noch nicht. Und Jochen wollte nicht ewig Rennen fahren. Er hätte zusammen mit seinem Freund Bernie Ecclestone in der Formel I seinen Claim zum Goldsuchen abgesteckt.

Er hatte Charisma. Jeder in Österreich wollte so sein wie Jochen Rindt, daher kam seine ungeheure Popularität.

Gegen ihn schauen die heutigen Piloten aus wie geklonte Milchbubis.

Autor Helmut Zwickl ist neben seiner langjährigen Tätigkeit als einer der führenden deutschsprachigen Motorsportjournalisten auch Veranstalter der Ennstal-Classic, alle Infos dazu finden Sie unter www.ennstal-classic.at

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