
Erinnerungen eines Sportreporters | 25.10.2024
Ohne Ziel ist jeder Weg falsch
Reporterlegende und motorline.cc-Kolumnist Peter Klein zeigt sich - auf die große Geschichte österreichischer Rallyesportler rückblickend - enttäuscht darüber, dass bei der Zentral Europa Rallye keine Österreicher am Start waren - doch die Hoffnung stirbt auch bei ihm zuletzt...
Ich denke dieser Spruch, den Konfuzius schon vor rund 2.500 Jahren von sich gegeben haben soll, trifft auch das Thema Rallye - International punktgenau. Nach rund 30 Jahren Fernsehberichterstattung rund um die Welt, von Krumbach bis Auckland, von Freistadt bis Peking, nach 153 WM-Läufen und manchen Abenteuerreisen glaube ich behaupten zu können: ich verstehe was vom Rallyesport.
Von Safarirallyes der 80er Jahre, als noch Short und T-Shirt die Bekleidung der Piloten war, bis Australien in feuerfester Unterwäsche mit Helm und Kühlweste.
Als die "Acropolis" noch 56 Sonderprüfungen und eine Gesamtlänge von mehr als 2.700 km hatte, als die „ Safari" eine einzige Sonderprüfung war und man nach mehr als 5000 km ein wenig müde vielleicht doch das Ziel erreichte. Als heroische Mechaniker von Service zu Service eine eigene Rallye fuhren und für ein Taschengeld aus Begeisterung schier Unmögliches vollbrachten.
Ich habe aber auch die Amputation dieses Sports miterleben müssen! Als man in Jyväskylä am Start zur „1000 Seen Rallye" nur noch knapp 350 SP-Kilometer zu absolvieren hatte und man "aus Sicherheitsgründen" fast ausschließlich bei Tageslicht fuhr. Als man Serviceplätze in großen Hallen installierte und Rallyefans einen gewaltigen Sicherheitsabstand einhalten, aber dafür brav Eintritt zahlen mussten. Als auf diversen Nennlisten die Namen von kaum noch 50 Piloten standen und als vor wenigen Wochen in Chile es gar nur noch 42 – bei der Central Europe 43 Nennungen gab.
Und doch habe ich viele schöne, begeisternde Seiten des Rallyesports auch in Österreich miterlebt. Als bei heftigen Minusgraden mehr als 150.000 Menschen die Piloten der Jännerrallye anfeuerten. Als Wittmann in Portugal zum ersten Mal FIA-A-Fahrer wurde, als Rudi Stohl als Letzter der Safarirallye seine Lada vermutlich auch auf dem Buckel ins Ziel nach Nairobi getragen hätte! Als Sepp Haider mit Ferdl Hinterleitner im Opel Manta Wilfried Wiedner im Audi Quattro besiegen konnte und der Tiroler in Argentinien bei einem WM-Lauf Zweiter wurde. Als Raphael Sperrer mit seiner knallgelben Megane der allradgetriebenen Konkurrenz keine Chance ließ, Wittmann als erster Österreicher in Neuseeland gewinnen konnte – und Sepp Haider im Jahr darauf gleiches tat. Raimund Baumschlagers Husarenritte in Italien und auf Korsika gehören ebenso zu den Highlights der österreichischen Rallyegeschichte wie Kris Rosenberger/Sigi Schwarz. Und es war Achim Mörtl, der mit unerschütterlichem Glauben das erste WRC nach Österreich brachte und mit dem legendären Jörg Pattermann fünf Siege in Serie feiern konnte! Der Ordnung halber sei geschrieben: diese Aufzählung erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit!
Zu all den genannten Persönlichkeiten gehörten in den letzten fünfzehn Jahren meines Berufslebens natürlich auch Manfred Stohl und Ilka Minor, wobei zuvor gleich einige tolle Co-Piloten Manfred auf den rechten Pfad führten: Kay Gerlach, Peter Müller, Peter Diekmann und natürlich noch Judith Schachinger und Tina-Maria Monego, alles tolle Menschen. Waren es am Beginn die Audis, in der Folge dann in der Gruppe N Mitsubishis, so feierte Manfred Stohl nicht im Werkswagen von Citroen – sondern im Semiwerksteam von Bozian im Peugeot seine größten Erfolge. Erfolge, die ihn ganz klar zur Nummer Eins unter Österreichs so großartigen Rallyepiloten machte. Und als ich am 04. Dezember 2006 von Cardiff nach Hause flog, war ich überglücklich von einem zweiten Gesamtang Manfred Stohls/Ilka Minor berichten zu können! Hinter dem Werkspiloten Marcus Grönholm, aber vor solchen Weltklassefahrern wie Petter Solberg, Jari Matti Latvala, Xevi Pons, Atkinson, Sordo, Duval, Rovanperä usw. und ich dachte zufrieden: „Jetzt kannst Du beruhigt in den Ruhestand gehen!“
Ein Jahr später stellte die OMV das so lange großzügige, aber auch sehr erfolgreiche Sponsoring ein - der Einkauf in das Citroen-Werksteam erwies sich als Fehlgriff, auch war vor allem die TV-Berichterstattung im ORF leider sehr mäßig geworden….
Dass Stohl das Fahren nicht verlernt hatte, bewies er in den folgenden Jahren mehr als nur einmal und ich erinnere mich besonders an seinen Sieg im Waldviertel, als er mit dem berühmten „Gas-Mitsubishi“ die Konkurrenz deklassierte...
Leider gab es viele Piloten in Österreich, die „Haus und Hof" in den Rallyesport investierten und fast alles verloren. Aber es gibt auch viele positive Beispiele wie zum Beispiel Raimund Baumschlager, der mit BRR eine auch international anerkannte Firma gründete und der selbst heute noch sehr aktiv die heimischen Sonderprüfungen bereist. Noch effizienter, wenn auch diskreter, die schon vor 22 Jahren gegründete Firma von Manfred Stohl, nunmehr STARD. Da empfehle ich den von Werner Jessner verfassten großen Bericht in der Autorevue vom September mit dem Titel: "Gestern Groß-Enzersdorf – heute die Welt"! Unfassbar, was Stohl mit seinem Team da auf die Beine gestellt hat. Die beiden Genannten sind beispielgebend, dass man im Rallyesport nicht nur bankrott, sondern durchaus ein sehr einträgliches Business erreichen kann – Nachfolger gibt es ja schon, siehe Luca Waldherr.
Aber kommen wir nun zu den vergangenen zehn Jahren in die Jetztzeit – und auch hier erhebt der Verfasser dieser Zeilen keinen Anspruch auf Vollständigkeit!
Natürlich dominierte gefühlte Jahrzehnte Raimund Baumschlager die Szene, bis sich endlich der Nachwuchs zu Wort meldete! Erst Neubauer, danach die Gebrüder Wagner, nach dem Vater auch der Sohn Waldherr, aber nicht nur in Österreich, auch international konnte man nicht mehr große Sprünge machen.
Die Rallyes wurden mit den Jahren immer kürzer, um kostengünstiger zu sein – und die Teilnahme wurde immer teurer. Natürlich war im Rallyesport mit den Jahren manches nicht mehr zeitgemäß - aber musste man wirklich die Sonderprüfungen derart kürzen? Und warum nicht mehr in den Abendstunden fahren – zu gefährlich? Lächerlich!
So wurden zB vor 40 Jahren bei der „Monte" noch knapp 750 SP-Kilometer gefahren, 20 Jahre später nur noch 400 km und 2024 waren es 320 km!
Gab es vor 40 Jahren noch über 200 (!!!) Nennungen – waren es 2024 nur noch 63 – weil sich viele eine „Monte" einfach nicht mehr leisten konnten. Und diese Vergleiche lassen sich von Land zu Land durchaus fortsetzen! 57 Nennungen in Schweden, ganze 28 bei der Safarirallye! Ohne österreichische Beteiligung 67 Nennungen in Kroatien, im motorsportverrückten Portugal 67 Nennungen, aber immerhin noch 81 in Italien. Doch zuletzt in Polen, Chile oder Deutschland jeweils nur noch 42 – das alles weil kostengünstiger?
Und in Österreich? Im Rebenland noch 83 waren es zuletzt bei der 1000 Hügel-Rallye nur noch 43 Nennungen – dafür wurde dort noch bis nach 22 Uhr gefahren...
Natürlich ist alles teurer geworden, 4.000,- Euro Nenngeld bei der WM sind nicht zu knapp, der Einsatz bei einem WM-Lauf nicht unter 70.000,- Euro mit einem RC 2 (danke meinem wissenden Informanten ) – aber ein EM-Lauf ist auch nicht unter 45.000,- 50.000,- Euro zu bewerkstelligen und dafür 3.000,- Euro Nenngeld zu berappen ist auch kein Schnäppchen!
Ja, es stimmt, alles ist teurer geworden! Die Autos, das Nenngeld, der Service, Nächtigungen, Anreise usw. und dennoch behaupte ich: Ein Europa- ist kein Weltmeisterschaftslauf und beim Endergebnis der Zentral-Europa-Rallye wird sich vermutlich mancher Österreicher in den Hintern beißen! Denn selbst mit drei Minuten Rückstand auf den RC 2 Sieger Gryazin wäre man in den Top Ten eines WELTMEISTERSCHAFTSLAUFES gelandet und selbst die verschlafene Journalistengemeinde hätte Hosianna gesungen und zur Feder gegriffen. Ja, ich weiß, das alles kann man nicht voraussehen, aber wie habe ich doch eröffnet: Ohne Ziel ist jeder Weg falsch!
„Noch ist nicht aller Tage Abend" stammt nicht von einem politischen Geisteskind, sondern aus der Feder des römischen Geschichteschreibers Titus Livius etwa um Christi Geburt. „Nondum Omnium dierum solum occidisse" - und so gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass ein weiterer Österreicher einmal ein kleines Kapitel Rallyegeschichte schreiben wird.
Denn da gibt es im tiefen Waldviertel eine Rallyegemeinschaft, einen Kerl namens Roman Mühlberger (der mir völlig fremd ist) und ein paar Sponsoren angeführt von einem tollen Hobbypiloten, der durch Tiefbohrtechnik viele Euros für eine Veranstaltung rausholt! Und wo es dann mehr als 100 Nennungen und an einem Tag rund 100 SP-Kilometer gibt. Ich glaube, diese Herrschaften haben den richtigen Weg für ein lohnendes Ziel gefunden!