Erinnerungen eines Sportreporters: Stohl am Himalaya | 15.05.2020
Erinnerungen eines Sportreporters: Stohl am Himalaya
Im dritten Teil der Rudi Stohl Trilogie erzählt Kolumnist Peter Klein die irrwitzig-anrührende Geschichte hinter dem sensationellen Handkuss für Indira Ghandi.
Am Tag vor dem Start, Servicebesprechung am Pool. Co-Pilot „Mödi“ Mödlhammer instruierte die beiden Mechaniker Joschi Unger und Leopold Müller und irgendwie bekam ich das Gefühl: die Beiden könnte nichts und niemand aufhalten, die finden jeden Servicepunkt und bauen aus einem Totalschaden ein leicht gebrauchtes Rallyeauto. Ein Roadbook und eine Landkarte, auf der ganz Indien drauf war als Behelf für die Navigation. Mödi und Poldi kreutzten in ihren Roadbooks die Serviceplätze an („do irgendwo“) und Rudi hatte auf der Landkarte mit Filzstift die Strecke der Rallye eingezeichnet und Kreuzerl für Notserviceplätze .
Ich griff nach der Landkarte und stellte fest: die jeweiligen Kreuzerln von Rudi entsprechen etwa einer Größe von Sankt Pölten und so dachte ich mir still: „Die Zwei sehe ich nie wieder“. Ach ja, damals gab es weder Handy noch Whatsup, Messenger, oder Funk! Ich hatte in meinem Roadbook auch alle Servicepunkte eingetragen und meine drei erfahrenen Mitarbeiter, zwei Kameramänner und ein Tonmeister ein wenig über Land und Leute instruiert.
Als Leihautos standen uns zwei Ambassador (auf Basis Morris Oxford Baujahr 1957) sowie je ein Fahrer zur Verfügung. Auch das Zweite Deutsche Fernsehen war vertreten - fuhr doch Mitfavorit Achim Warmbold als Werksfahrer für Toyota. Drei Kamerateams, ein Redakteur, ein Assistent und eine Produktionsleiterin gingen ihr Drehprotokoll durch. Als ich dann noch vor dem Hotel vier stramme BMW 2002 mit der Aufschrift „Deutscher Sportfahrer“ sah, kam ich mir ziemlich klein und mickrig vor….
Irgendwie hatte Rudi Stohl also das notwendige Budget für diese 1. Himalayarallye zusammen bekommen, nicht nur sein Brötchengeber ÖAF Gräf&Stift, auch Semperit, Castrol Austria und AKG waren mit an Bord. Letztere hatten an der Lada rechts und links hinter dem zweiten Seitenfenster jeweils ein Mikrofon installiert - die wollte man nach der Rallye auf Funktionstüchtigkeit testen. Alle Teilnehmer waren samt Rallyeautos im Baseballstadion von Bombay, Shekhar Mehta als Werksfahrer für Opel natürlich als Liebling der unübersehbaren Zuschauermenge und ich dachte unwillkürlich: „Brot und Spiele – wie im alten Rom“. Noch schnell ein Interview mit dem Safarisieger, der auf meine Frage nach Stohl`s Chancen charmant antwortete: „I know Rudi from the Rally Acropolis, he is a big fighter and he is certainly in the top ten at the finish“.
Warmbold sah sich als logischer Favorit und meinte zu Stohls Möglichkeiten eher schnoddrig: „Der Österreicher hat keine Chance, die Lada hält nie bis ins Ziel.“ Zwei weitere Deutsche, das Duo Siller/Schüller beäugten Rudis Lada sowie mich und meine Crew mit den Worten: „Schau, schau, das österreichische Fernsehen ist auch da - und was hat denn der Stohl da am Auto? Ein Mikrofon?“, wollte Schüller wissen. Mich ritt der Teufel in Gedanken an die deutsche Fernsehübermacht und meinte nonchalant: „Wir wollen zu unseren Dreharbeiten auch den Originalton im und um das Rallyeauto“ – was natürlich absoluter Blödsinn war. Aber schon hatte Wolfgang Siller auch das zweite Mikrofon entdeckt und rief verzückt: „Mensch und sogar in Stereo!“ Ich war selig und wir ließen ihn in dem Glauben...
Nach zwei Tagen und rund 1500 Kilometern sollte ich mit meinem Kamerateam Agra erreichen - jene berühmte Stadt im Bundesstaat Uttar Pradesh und auch das zweite Team ( Kameramann Cerny mit Chauffeur und Begleiter ) in einem kleinen, aber ziemlich schäbigen Hotel treffen. Wir hatten nach dem Start in Bombay ein Service und vier Einstellungen fahrender Rallyeautos sowie ein paar Interviews gedreht. Dann das berühmte Red Fort und auch das Taj Mahal wollten wir dem heimischen Fernsehkonsumenten zeigen. Dort angelangt verweigerte uns vorerst ein hübscher Inder in Phantasieuniform das Drehen und wollte eine Genehmigung sehen. Ich hielt ihm meine Akkreditierung unter die Nase - er schüttelte unwissend den Kopf. „Austrian-TV“, sagte ich bestimmt und er meinte stoisch: „Stop here, I ask my boss“.
Während er in einem angrenzenden Gebäude verschwand, drehte mein Kameramann aus dem Stand die Bilder, die wir brauchten und als er wieder erschien und ein unerbittliches „Sorry, forbidden“ von sich gab, wandten wir uns mit einem traurigen „Okay“ ab. Im Hotel erfuhren wir, dass es in Aurangabad Probleme mit der Rallye gegeben hätte, die Gegenpartei von Ministerpräsidentin Indira Ghandi hatte tausende Feldarbeiter mobilisiert, in LKW`s in den Bundesstaat Maharashtra gebracht, um den Rallyetroß zu blockieren.
Etwas unruhig geworden blickte ich immer wieder auf die Uhr,- mein zweites Team war nicht eingetroffen und wir hatten zwischen 17.00 Uhr und spätestens 19.00 Uhr vereinbart. Ich studierte meinen Drehplan, mein zweites Team war am Abend in der Gegend um Aurangabad gewesen und ich wollte schon in das sehr provisorische Pressezentrum,. als sich ein Ambassador mit TV-Schild aber ohne Wimndschutzscheibe langsam tuckernd näherte. Erleichtert, aber doch unlocker wollte ich wissen, warum es so spät geworden war? Mein zweites Team war tatsächlich mit Steinen beschossen worden, dann überhitzte der Motor und der Keilriemen wurde mit irgendwelchen Stofftüchern ersetzt.
Aber Rudis Servicecrew war auch schon da und so hatten wir in Windeseile ein gepflegtes Service. Mit großer Verspätung erreichten die verbliebenen Teilnehmer Agra, nur wenige Autos waren vom Steinhagel verschont geblieben. In Shekhar Mehtas Opel gab es nur noch ein Seitenfenster, auch bei Rudis Lada war die Windschutzscheibe schwer beleidigt, die Heckscheibe in tausend Splitter. „Di Gfrasta hobn olle auf mi gschossn“, stöhnte Co-Pilot Mödlhammer und Stohl meinte teils stinksauer, teils belustigt: „Eh kloa, de hobn net gwußt, dos bei uns da Foara links sitzt.“
Doch nicht zum Himalaya
Knapp vor Mitternacht verkündete der Chairman Nazir Hossein: „Our rally is going on“ – die Strecke wurde geändert und verkürzt, Militär war aufgeboten um die Teilnehmer zu schützen und spätestens jetzt stellte sich heraus: die Deutschen sind stets bestens organisiert,- aber wir Österreicher sind die Weltmeister der Improvisation. Ein Team des ZDF war nach nur einem Drehpunkt nahe Aurangabad dem Steinhagel entflohen und gleich zum nächsten Drehpunkt nach Nainital im Himalaya-Massiv gefahren. Dort aber kam die Rallye nicht mehr hin, gut 1000 Kilometer wurden gestrichen. Die Autos wurden über Nacht repariert, Gitter über der Windschutz- und Heckscheibe angebracht, die Autos sahen aus wie kleine Gefängnisse auf Rädern. Neue Drehpläne, neue Servicepunkte, nur knapp fünf Stunden Schlaf, wir mussten deutlich vor dem ersten Teilnehmer in den Prüfungen sein. Der Tag verlief problemlos, Stohl in Agra schon Achter attackierte weiter, fand stets seine beiden Mechaniker und war am Nachmittag an sechster Stelle. Auch weil der schnoddrige Achim Warmbold, der vor dem Start den beiden Österreichern keine Chance gegeben hatte , mit seinem Werks-Toyota ausgefallen war. Ich gebe zu, ich nahm das damals gerne und auch ein wenig schadenfroh zur Kenntnis. Heute schäme ich mich dafür - aber nur ein ganz klein wenig...
Jochen Berger, Mitte der 70er Jahre noch Co-Pilot bei Walter Röhrl im Kadett, war in Indien bereits Teamchef von Opel und am vierten Tag der Rallye hielt er am Serviceplatz von Stohl. „Jetzt zeigt´s mir einmal eure Karten, wieso seid ihr immer vor meinen Leuten am Platz?“ Bereitwillig zeigte ihm Poldi Müller die Landkarte mit den Filzstrichen von Rudi´s Angaben und Berger war ungläubig erschüttert: „Der Strich auf der Landkarte ist ja 15 Kilometer breit“, ächzte er und das Navigationsgenie aus Essling meinte trocken: „Jo, eh, drum nemma imma die Mittn“…
Berger erzählte auch, dass die Kollegen vom ZDF einen Mann mit Leihwagen nach Nainital geschickt hätten, um das vermisste Team zu holen - das Zweite stand noch in Agra mit defekter Vorderachse (ich musste gleich an Rudi´s Schweißkünste denken) und ob ich denn meinen Kollegen nicht mit gedrehtem Filmmaterial aushelfen könnte (Opel hatte den Einsatz des deutschen Fernsehens bezahlt). Ich versprach zu helfen und noch am ersten Tag nach unserer Ankunft ging eine komplette Kopie unseres Material per Flugzeug nach Mainz - mit Berger verband uns danach eine sehr lange Freundschaft.
Am letzten Tag überholte Stohl vor unserer Kamera Albert Pfuhl im Mercedes 450 SLC, kam 150 Kilometer später zu seinen beiden Mechanikern, die mit „goldenen Händen“ die Lada für die letzten knapp 300 Kilometer fit machten. Bei der Zeitkontrolle davor hatte Co-Pilot Mödlhammer erfahren, dass der Rückstand auf den Vierten Doug Stewart im Peugeot 505 nur noch 19 Minuten betrug. „Den hoi ma uns a no“, meinte Rudi fröhlich - „letztes Service 15 Kilometer vor dem Ziel“.
Und nun begann eine weitere große Tat der Mechaniker Unger und Müller. Joschi Unger erinnerte mich damals an den jungen Errol Flynn in seiner Paraderolle als Robin Hood - ein Genie in jedem Auto und den Damen nie abgeneigt. Aber auch Topnavigator Poldi Müller - der junge Thomas Stipsits ähnelte ihm - konnte durchaus mithalten - und das in jeder Beziehung.
Rudi rauschte davon, seine Servicecrew packte in Windeseile alles in den Lada Kombi, Poldi nahm das Roadbook zur Hand, Joschi klemmte sich hinters Steuer. Die beiden fuhren tatsächlich mit vollbepacktem Kombi die Prüfungen nach - denn sie wussten: Wenn Rudi attackiert, bleibt kein Auge trocken - und die Strecke war ja nicht gesperrt.
Nach 150 Kilometern kamen Stohl/Mödlhammer bereits in den Staub des Viertplatzierten, als das Unvermeidliche geschah: Im dichten Staub taucht eine Kuhherde auf, bremsen, lenken, keine Sicht aber ein dumpfer Knall und der Aufschrei von Mödlhammer: „Foa weida, foa sofuat weida, waunst do a Kua dawischt host, bringans uns um“, drang es burgenländisch in Rudis Ohr. Ein paar Kilometer später musste Rudi aber anhalten, es roch schrecklich nach verbranntem Gummi. Reifendefekt und der Schaden war unübersehbar: die rechte Seitenwand komplett eingedrückt, der Reifen aufgeschlitzt und ein möglicher Schaden an der Hinterachse.
Also Wagenheber raus, Ersatzreifen raus, Lada aufgehoben und Stohl, mit dem großen Hammer schwer bewaffnet, warf sich mal unters Auto - der Herr Prokurist konnte in diesem Fall nicht helfen. Erst mal der Reifenwechsel, die Hinterachse dürfte doch nichts abbekommen haben, Rudi äugte in jeden Winkel und begann die Seitenwand mit dem Hammer zu bearbeiten als auch schon ein Lada-Kombi neben ihm hielt. Joschi und Poldi waren zur Stelle und keine fünf Minuten später war das Duo Stohl/Mödlhammer wieder unterwegs - verfolgt von ihren Topmechanikern. Rang Vier war dann nicht mehr erreichbar, aber der Fünfte war abgesichert. Mehta vor Höpfner und Stiller – das Duo Stohl/Mödlhammer hochzufrieden. Auch die „schrecklichen Zwei“ kamen rechtzeitig zur Rampe, nur das Serviceauto war praktisch ein Totalschaden - aber fahrbereit. Danach ging es rasch ins Hotel zur Abschlussbesprechung.
Stohl und der Handkuss
Meine Crew vertilgt Sandwiches. Duschen, umziehen, nur wenig Zeit, Abflug in vier Stunden . Der ZDF-Redakteur kontaktiert mich und fleht noch einmal um Filmmaterial. Ich verspreche noch einmal und will im Gegenzug, dass mir der wenig ausgelastete Kameramann aus Nainital die Siegerehrung von Stohl am Abend bei Indira Ghandi dreht und ihm die 30 Meterrolle gleich mitgibt: Meine Crew und ich waren zu diesem Zeitpunkt schon wieder im Flugzeug auf dem Weg nach Paris.Gesagt, getan und ich rufe Rudi, der bereits frisch geduscht war zu mir um zu besprechen, was noch zu tun sei. „Was ziehst Du zur Siegerehrung an“, will ich wissen - und Rudi antwortete selig: „I hob no a frische Jean, und a neichs Ladaleiberl“. Es gibt Momente im Leben, da packt einem der Menschheit ganzer Jammer an. Ich taxiere Rudi von oben bis unten, er ist etwas kleiner als ich und war damals um rund zehn Kilo leichter. Meine Gedanken rasten durch meine Graderobe, ein Blick zu Rudi, nein, mein Sakko und Hose passen nie, dafür Hemd samt Krawatte. Unger Joschi, der Mechaniker hatte einen blaugrauen Anzug mit, in den Herr Stohl einigermaßen passte. Das Nähzeug vom Hotel bescherte uns zwei Sicherheitsnadeln – und schon passte auch das Hemd, die Krawatte bekam von mir einen tadellosen Knopf - fertig.
Nun noch zur Zeremonie: „Rudi Du bist als Zweiter dran, vor dir kommt der Sechstplatzierte Pfuhl zur Siegerehrung, schau was passiert. Auf jeden Fall wartest du, ob dir Indira Ghandi die Hand reicht. Tut sie das, nimmst du die Hand vorsichtig mit Deiner rechten, nach oben geöffneten Hand, beugst dich nach vor und gibst ihr einen Handkuss.“ Das war jener Augenblick, als ich Rudi Stohl zum ersten Mal in meinem Leben fassungslos, ja fast verzweifelt sah. „Wos soi i ihr gebn?“, meinte er völlig verständnislos und ich wiederholte: „ Sie reicht dir die Hand - du nimmst sie aber sehr vorsichtig und zart, beugst dich zur Hand und deutest einen Handkuss an.“ Und weil es so aussah, als würde Rudi an meinem Verstand ernsthaft zweifeln, sagte ich noch: „Denk daran, der österreichische Botschafter ist auch anwesend,-du repräsentierst heute Abend Österreich“ und ich nahm seine Hand und demonstrierte den Handkuss. Dann noch die Gegenprobe, Rudi nahm meine Hand, zart und gefühlvoll und berührte mit seiner Nasenspitze meinen Handrücken. Ich nickte zufrieden und überließ einen unglücklichen Rudolf Stohl seinem Schicksal.
Als ich drei Tage später in Wien die entwickelte Filmrolle am Schneidetisch hatte, war ich sehr stolz auf Rudi, den Fünften der Himalayarallye 1980.