
Erinnerungen eines Sportreporters | 15.10.2025
Gestern - Heute - Morgen: Heute
Im „Heute“-Teil der Trilogie von motorline.cc-Kolumnist Peter Klein befasst sich der langjährige ORF-Reporter mit der Gegenwart.
Kaum hatte Kollege Michael Noir mir bekannt gegeben, dass Teil 2 online auf motorline.cc wäre, schrillte zehn Minuten später mein Telefon. „Hearst, host bei de Söhne auf`n jungen Wittmann Fraunz vagessn?“
Nein, natürlich nicht - doch ich finde: Franz jun. würde toll ins HEUTE passen. Schließlich ist er mit Abstand der jüngste „Sohn“ und würde sich meiner Meinung nach auf Anhieb zumindest unter den ersten Fünf jedes Meisterschaftslaufes behaupten.
Noch heute denke ich mit ein wenig Wehmut an die aktive Zeit von Wittmann jun. zurück, dessen Start in seine Rallyekarriere vor 22 Jahren im Waldviertel mit einem 13. Gesamtrang so vielversprechend begann. Mit einem Mitsubishi Evo 6 aus dem Hause Manfred Stohl, der die Saison 2003 beim WM-Lauf in Wales mit einem privaten Peugeot 206 aus dem Hause Schmidt auf Rang sieben beendet hatte. Vor Größen wie Auriol, Latvala, Pykälistö usw.
Ich dachte mir damals, die alte Freundschaft der Väter hat sich also auf die Söhne übertragen, obwohl Manfreds internationale Karriere ja schon ein Dutzend Jahre zuvor an der Elfenbeinküste begonnen hatte.
Der Name Wittmann sen. wog schwer auf den Schultern des Sohnes, man erwartete von Beginn an Erfolge wie sie der Herr Papa geliefert hatte, ohne dem Junior die notwendige Zeit zu geben. Ehrgeiz und Kampfgeist hielten sich die Waage, unglaublich sein beinhartes Duell bei der Lavanttal Rallye 2008, als er mit einer Sekunde Rückstand auf Baumschlager Zweiter werden konnte.
Aber auch Herbert Breiteneders tödlicher Unfall in Kärnten bleibt unvergessen. Zum Abschluss des Jahres gab es im Waldviertel einen weiteren zweiten Gesamtrang, diesmal hinter Manfred Stohl. Einen weiteren zweiten Gesamtrang gab es ein Jahr später, da siegte wieder Baumschlager mit gerade mal zehn Sekunden Vorsprung.
Genug von damals, doch ein Franz Wittmann junior würde auch HEUTE den heimischen Rallyesport gewaltig beleben….
Wir sind also in der Gegenwart angelangt, nicht unbedingt der tatsächliche Augenblick, denn für mich beginnt das HEUTE mit dem Ende meiner Berichterstattungen und das war im Dezember 2006. Es war der letzte Weltmeisterschaftslauf, das großartige Duo Stohl/Minor hatte einen sensationellen zweiten Gesamtrang erreicht, vor Weltmeister Petter Solberg und Größen wie Latvala, Pons, Atkinson, Sordo usw, nicht weniger als zehn Werkspiloten reihten sich hinter Manfred ein.
Ich hatte nicht nur meinen Abschied, sondern auch einen langen Urlaub eingeplant. Meinem Nachfolger, der mir jahrelang ein guter Assistent war, hatte ich vertrauensvoll den Rallyesport übergeben und vor dem Heimflug in Cardiff einen jungen, wissbegierigen schreibenden Kollegen namens Michael Noir näher kennengelernt.
Ich war zufrieden wie nach einem fünfgängigen Dinner, der Rallyesport boomte und ich dachte, er wäre in guten Händen. Heute weiß ich natürlich, dass nicht alles Gold war was glänzte, dass natürlich nicht jeder Bericht Oscarverdächtig war, dass auch ich manchmal, vielleicht aus Zeitdruck, manches übersehen hatte. Aber noch heute weiß ich, dass nicht nur mein Einsatz bedingungslos war, dass ich meine Kamerateams oft an die Grenzen der Belastbarkeit getrieben habe. Dass viele Überstunden gerne ohne Bezahlung geleistet wurden. Weil Kameramänner, Assistenten und Tonmeister den Rallyesport ebenso liebten wie ich selbst.
Doch was davon ist bis heute geblieben, wo sind die Befürworter des Rallyesports? Wo sind die Journalisten die in ihren Tageszeitungen den Chefredakteur mit tollen Berichten überzeugten? Es mag überheblich klingen, doch seit mehr als 18 Jahren habe ich keinen Rallye-ORF-Bericht gesehen, der mich begeistert hätte.
Wo gibt es heutzutage Nachfolger von Richard Köck (Krone) Wolfgang Novak, Ad Raufer (Kurier), Gerhard Hofstädter (Kleine Zeitung) usw.?
Nach wie vor beliefert Armin Holenia seit gefühlten 60 Jahren fast alle Medien und seit rund 20 Jahren ist der rührige Michael Noir aus dem Internet nicht wegzudenken. Natürlich ist der Rallyesport für alle Medien und damit Journalisten kein leicht verdientes Brot. Man kann nicht von der Presseloge nach einem üppigen Buffet die Redaktion vom Geschehen informieren. Man sitzt nicht auf der Pressetribüne eines Formel-Rundstreckenrennens, um eher gelangweilt eine SMS zu versenden.
Ein guter Rallyejournalist (und davon gab es einst viele) , musste viele Kilometer zurücklegen, in Servicezonen auf Stimmenfang gehen, sich durch wartende Fans wühlen und ein gutes Verhältnis zu den Aktiven aufbauen. Wo gibt es heute die Kontaktmenschen der Industrie, die Pressebetreuer, die wesentliche Meldungen vertrauensvoll weitergaben? Wo sind heute noch so viele Sponsoren und auch Mäzene, Gönner des Rallyesports?
Es ist nicht einfach, nach einem derart großartigen Event wie der Herbstrallye einigermaßen realistisch zu bleiben und das HEUTE mit Abstand und fair zu beurteilen.
Mehr als 100 Teilnehmer, darunter Weltmeister Ogier von Toyota und Hyundai-Werkspilot Fourmaux, Rekordmeister Baumschlager und der erst 37-jährige doch schon Evergreen Hermann Neubauer, Gassner, Fischerlehner usw. – man kann den Veranstaltern zu dieser erneut gelungenen Veranstaltung im Waldviertel nur gratulieren.
Der Fan am Streckenrand macht sich keine Vorstellungen, welch hohes Risiko die Menschen im Hintergrund einer Rallye eingehen, die oft mit ihrem Privatvermögen haften.
Dennoch sollte man bei aller Euphorie über die Herbstrallye auch einen nüchternen Blick auf Fakten und Zahlen werfen.
In der Rallye-Weltmeisterschaft gibt es bekanntlich die Unterteilungen RC 1 – RC 2 – RC 3 und da gibt es zum SP-Besten im Durchschnitt folgenden Erfahrungen: Gesamtsieger RC 1 fährt im Durchschnitt um 1,8 bis 2,0 Sekunden am Kilometer schneller, als RC 2
Österreichs bester Mann Hermann Neubauer, der den nächstplatzierten Deutschen Björn Satorius (ein ebenfalls routinierter und recht erfolgreicher Pilot) im Durchschnitt um 0,6 Sekunden am Kilometer distanzierte, war im Waldviertel in seinem RC 2 Toyota Yaris am Kilometer um 2,5 Sekunden langsamer als der Sieger Ogier. Was den Rückschluss zulässt: Neubauer (der den Vergleich mit Österreichs Meister Simon Wagner nicht scheuen muss) wäre bei einem WM-Lauf am Kilometer um rund eine halbe Sekunde langsamer als der beste RC2 Pilot, also etwa Oliver Solberg, Gryazin oder Rossel. Das würde aber auch noch für einen Platz unter den ersten Acht der RC 2-Wertung reichen….
Ist dieser Vergleich also zulässig? Ich denke ja - auch wenn man bedenkt, dass Ogier erstmals im Waldviertel vor allem zum Testen war, andererseits Neubauer jeden Meter der Sonderprüfungen vermutlich auswendig kennt und eine tolle Leistung geboten hat.
Sind also Österreichs Piloten schwächer geworden? Ist der Abstand zur Weltspitze größer geworden? Aktuell „jein“ - doch es müsste nicht sein.
Die Gründe dafür gibt es im letzten Teil von GESTERN – HEUTE - MORGEN.