Erinnerungen eines Sportreporters: The Fan! | 11.10.2021
The Fan!
Rudi Stohl hat durch seine Rallyeeinsätze Freunde in der ganzen Welt gefunden, einen ganz besonderen hat er bei der Akropolis-Rallye in Griechenland wiedergetroffen, Dimitri Vazakas wurde vom Fan zum Freund.
Nein, ich meine nicht verbissene Fans wie zum Beispiel Desiree Nosbusch, die aus lauter Hassliebe ihr großes Idol in „Der Fan“ 1982 erschlug. Oder gar Robert de Niro, der aus hemmungsloser Hingabe zu einem Baseballspieler 1996 in dem Thriller „The Fan“ selbst vor Mord und Entführung nicht zurückschreckte. Nein, ich meine jene Fans, wie sie der großartige Filmemacher Helmut Deimel schon 1985 beschrieben hatte: „Die Liebe der Rallyefans ist besitzergreifend. Man ist im Kreis einer riesengroßen Familie und im Mittelpunkt dieser Familie stehen keine arroganten Akteure, es sind Menschen zum Erleben, zum Anfassen.“
Nun , ein wenig hat sich das wohl verändert, zumindest in den westlichen Ländern. In den südlichen Hemisphären ist die Liebe und Hingabe der Fans zum Rallyesport aber geblieben, wie sie in den 1980ern war. „Bist du deppat“, stöhnte Rudi Stohl vor wenigen Tagen, als er von der 65. Rally Acropolis wieder nach Österreich zurückgekehrt war. „Es woa wia in de 70a und 80a Johre, in jeda Prüfung tausende Leit und de easchte Prüfung woa, muasst da vuastölln, vuam Parlament in Athen! Do is soga da Präsident (Kyriakos Mitsotakis) kumma und hot unsan oadn Freind ois Guade gwunschn. Da Dimitri is ois Nulla gfoan und olle Politika woan dabei. No jo, de Griechn wissen hoit scho, wos a Rallye-WM fia a Land bedeitet! Schau, i hob sogoa Büdln davo“
Ich betrachtete das aktuelle Foto und meinte sichtlich zufrieden: „Schau, dem Dimitri sind die Haare noch mehr ausgefallen als uns – und der ist sicher gut zehn Jahre jünger! „Da lächelte Rudi mild, strich sich vergnügt über sein gelichtetes Haar und begann in Erinnerungen zu schwelgen…
Wir schreiben das Jahr 1975, als der im vergangenen Jahr von uns gegangene Walter Zöckl, ein tolles Rallyeauto sein eigen nannte, einen BMW 2002 ti und mit diesem, mit Rudi Stohl als Co-Pilot, zum ersten Mal die 22. Rally Acropolis bestreiten wollte. Zöckls Schwester hatte einen griechischen Studenten namens Nico in Wien kennen gelernt, man bat ihn um Unterstützung in Athen und so kam der jüngere Bruder ins Spiel. Man benötigte vor allem billige Hotelzimmer, Leihautos und Hilfe während der Rallye. Das Hotel Perla in Glyfada wurde empfohlen, allerdings lag es genau in der Einflugschneise zum damals noch nahe gelegenen Flughafen von Athen.
Dennoch sollte das Perla jahrelang zum Hauptquartier österreichischer Rallyepiloten samt Anhang werden, etliche Metaxa/Cola verhalfen zu einer brauchbaren Nachtruhe… Natürlich war man per Auto nach Griechenland gekommen, Zugmaschine mit Hänger und Rallye-BMW, drei Serviceautos samt Mechaniker und Piloten, geschlafen wurde während der mehr als 1800 km langen Fahrt nur wenig, die Aufregung vor dem ersten Einsatz bei der „Acropolis“ war spürbar. Das Hotel wurde schnell gefunden, die Zimmer bezogen, der BMW 2002 ti abgeladen als ER um die Ecke knatterte: Dimitri, der fünfsprachige Gymnasiast aus gut bestalter Athener Familie erschien auf einem sichtlich getunten Moped!
Die Österreicher waren doch ziemlich überrascht,- der junge Bursche auf dem Moped sollte bei allem helfen können? Er konnte! Was immer auch dringend benötigt wurde, Dimitri schaffte es herbei. Neben seiner Muttersprache konnte er sich auf englisch, deutsch, italienisch, ja sogar recht gut auf französísch ausdrücken, Dimitri wurde innerhalb weniger Tage zum Österreichfan. Er kannte die besten Obsthändler, die besten Konditoreien und brachte mit den weiteren Piloten Schreiber und Schirnhofer samt Mechanikertruppe gleich gut fünfundzwanzig Österreicher nach Kalivia, wo es damals das Beste vom Lamm in jeder Form gab.
Das alles vom offenen Feuer auf einem Gitterrost von der „Mama des Hauses“ gebraten, die beiden Söhne schnitten und hackten das Fleisch zurecht und lieferten auch köstlichen Retsina in Kupferkannen. Dazu gab es natürlich knackigen griechischen Bauernsalat und Weißbrot. Serviert wurde alles vor der Fleischhauerei auf der Straße, und bei Bedarf wurden weitere Tische und Stühle gebracht. Zugegeben, die österreichische Gesundheitspolizei wäre ob des hygienischen Standards in Ohnmacht verfallen, wir haben uns immer wohl gefühlt, beim „Hammelmörder von Kalivia“.
Natürlich war Dimitri auch beim Start unterhalb der Akropolis mit dabei, fuhr danach mit seinem Moped auch noch zu einer weiteren Sonderprüfung nahe Athen und erfreute sich vor allem anm Duo Zöckl/Stohl welches nach sechs Sonderprüfungen an toller 10. Stelle lag. Ins Ziel kam 1975 jedoch kein einziger Österreicher und auch keine der weiteren 70 % der Gestarteten. Es siegte ein gewisser Walter Röhrl mit einem Opel Ascona und unserem guten Dimitri blieben zwei Fotos als Erinnerung an sein erstes Zusammentreffen mit den Bürgern aus „Afstria“ – sozusagen Vorher/Nachher.
Nach dem Ausfall kam Dimitris Mutter und bat Rudi, doch etwas Geld zu übernehmen, für ihren studierenden Sohn in Wien . Tja, Freunde des modernen Telebankings, das gab es in den 70er Jahren noch nicht. Aber es gab Vertrauen zu Menschen die man zwar nur kurz kannte, auf die man sich aber dennoch verlassen durfte. Nico bekam in Wien die finanzielle Unterstützung ausgehändigt – und Rudi kam auch in den folgenden Jahren immer wieder nach Athen, aber erst 1978 zum ersten Mal ins Ziel, natürlich mit einer Lada.
1979 und 1980 folgten weitere Ausfälle, die „Acropolis“ hatte den Ruf der brutalsten Rallye Europas bis 1981 eine Frau, Gabi Husar, Rudi Stohl bis ins Ziel dirigierte, Rang 14. Und natürlich war jedes Mal Dimitri im Gefolge. Aus dem Moped war ein brauchbares Automobil geworden, Dimitri fuhr auch schon selbst recht erfolgreich Rallyes im Land, aus dem Rallyefan wurde ein Rallyefreund und wann immer Stohl mit seiner Crew nach Griechenland kam, Dimitri war stets eine helfende Hand.
1995 kam Stohl zum letzten Mal ins Ziel der Akropolisrallye und nach seinem 2. Gesamtrang meinte unser griechischer Freund zu mir: „Weißt Du Peter, ich habe in meiner Heimat schon viele Piloten aus dem Ausland kennengelernt, aber keiner hat mit so wenig Budget so viel erreichen können wie Rudi. Er ist mein Idol und auch mein Freund geworden, meine Türe steht für ihn immer für ihn offen.“
26 Jahre später gibt es noch immer diese Freundschaft die 1975 begann. Damals, als ein 17-jähriger Rallyefan einem bunten Haufen Österreicher in Glyfada zum ersten Mal begegnete. Als er ein Jahr später auf den brutalsten Schotterpisten Stohls Bergabfahrten in seiner Lada bejubelte, bei seinen Ausfällen trauerte und bei Stohls Zielankünften einfach glücklich war. Fast jedes Jahr gibt es ein Wiedersehen in Griechenland, auch 2021. Und sie feierten diesmal schon beim Sohn des „Hammelmörders von Kalivia“ eine 46 Jahre währende Freundschaft.