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Erinnerungen eines Sportreporters: Wanderer, Heiler oder Erzengel?
Fotos: Daniel Fessl, Peter Klein privat, Sperrer Motorsports

Wanderer, Heiler oder Erzengel?

Peter Klein blickt zurück auf einen ganz Großen des heimischen Rallyesports, der Oberösterreicher Raphael Sperrer brachte es auf sechs Meistertitel, wollte dabei aber nie "Everybody's Darling" sein.

Peter Klein für den Motorline Paddock Corner

Ich weiß nicht, ob es eine Tugend ist, alles und jedes auf Google zu recherchieren, obwohl, manches habe ich bislang doch erfahren, oft auch über Wikipedia. Und so habe ich einfach mal seinen Namen eingegeben und gespannt darauf gewartet, was zu erfahren ist. Als erstes lese ich „Erzengel“ und muss darüber herzlich lachen. Nein, ein Erzengel ist er sicher nicht, auch nicht ohne „Erz“. Dass er im Kreis der Esoterik oft genannt wird, scheint mir schon wahrscheinlicher.

Im Alten Testament wird er als „Heiler“ bezeichnet, das kann ich mir beim Namensvetter aus Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich nicht vorstellen. Und in der Ikonographie der christlichen Kunst wird er meist als „Pilger mit dem Stab“ wie ein Wanderer dargestellt. Auch das kann ich bei ihm nicht sehen, wiewohl er schlank und von drahtiger Gestalt ist. Nein, dies alles trifft auf ihn nicht zu, kein Wanderer, Heiler oder gar Erzengel.

Aber ein gnadenloser „Glüher“ mit einer gewaltigen Portion Ehrgeiz, erfolgreich als Rallyepilot, aber nicht von allen geherzt oder geliebt. Er selbst hat es aber auch nicht gerade mit Herzlichkeit, Zuneigung oder gar Vertrauen und ich kenne einige Rallyepiloten die ihm ähnlich sind. Dem Schreiber dieser Zeilen war er zuletzt auch nicht sehr gewogen, wiewohl ihm dieser des Öfteren Gutes tat. Keine Sympathie und ich vermute fast, er kennt ihn nicht, kann sich auch nicht erinnern… Der Rallyefan weiß natürlich längst, von wem die Rede ist, schließlich schmücken ihn sechs österreichische Meistertitel!

Raphael Sperrer

Am Anfang seiner Rallyekarriere gab es Ausfälle zuhauf. Zwischen 1986 und 1989 bestritt Raphael 22 Rallyes, davon gab es 50 % Ausfälle und auch zwei Disqualifikationen. Bei seinen ersten Zielankünften hatte er gastronomische Begleitung, der knapp zwei Jahre jüngere Landsmann Sigi Schwarz war Co-Pilot im Gruppe N Lancia. In seinem Gasthof in Steyrling schwärmt Sigi heute noch von den Tugenden des sechsfachen Meisters: besonders ehrgeizig und ausgesprochen zielorientiert. Sperrer umgab sich nach Möglichkeit stets mit den Besten, so lockte er zum Beispiel auch den zweifachen Weltmeister Walter Röhrl in die oberösterreichische Bergwelt um einen forschen Fahrstil im Audi Quattro 200 zu erlernen.

1990 zählte Sperrer in der heimischen Meisterschaft bereits zu den Sieganwärtern und mein erstes mediales Lob gab es bei der legendären Semperitrallye 1990. Das beinharte Duell Sperrer gegen Baumschlager, beide in einem VW Golf GTI 16V war fast acht Sonderprüfungen lang ein Sekundenkrimi feinster Sorte, das der sechs Jahre ältere Rekordmeister damals verlor. Raphael fuhr alles was sich bewegen ließ, Citroen, Lancia, VW, Audi Coupé und auch 200, Mitsubishi, Opel Astra, mit Per Carlsson die WRC-Boliden Seat Cordoba und Peugeot 206, davor auch noch im legendären gelben Renault Maxi Mégane – und Sperrer war stets sauschnell, in jedem Auto!

Auffallend aber war der Verbrauch der Co-Piloten, nicht weniger als drei Damen und 16 Herren nahmen im Verlauf von mehr als 120 Rallyes neben ihm Platz. Darunter auch der Deutsche Profi Peter Diekmann der über Sperrer meinte: „Sauschnell, finnische Hemmungslosigkeit, aber als Mensch und Partner extrem schwierig.“ Für mich war Raphael der vielleicht schnellste der heimischen Piloten auf Asphalt – auf Schotter, beziehungsweise gemischtem Terrain fand er bei seinem letzten Rennen seinen Meister.

Im Waldviertel gewann Sperrer 2002 mit dem Peugeot 206 WRC acht von achtzehn Sonderprüfungen war im Ziel klar vor den WRC-Werkspiloten Pech und Kopecky, aber mehr als eineinhalb Minuten hinter Manfred Stohl im Ford Focus WRC Zweiter. Es gab immer wieder auch heftige Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und dem manchmal verbissenen Sperrer, aber ich will auch vom positiven, fröhlichen und entspannten Raphael berichten und da hatte dieser Mann sicher großen Anteil:

Ernest „Arafat“ Loidl, heute leitender Fahrinstruktor und ÖAMTC-Sprecher in Sachen Fahrtechnik, war 1993 und 1994 Sperrers Co-Pilot. Mit positivem Einfluss bei vielen Erfolgen wie zum Beispiel Rang Sieben 1994 beim WM-Lauf in Portugal. Die Unbekümmertheit, aber auch die charmante Intelligenz von „Arafat“ bescherten Raphael ein wenig Gelassenheit, die Verbissenheit wurde in den Hintergrund gedrängt. Das ist nun 27 Jahre her und dennoch denke ich gerne an Südafrika im Juni 1994. Eine Rallye, die vor dem Bewerb nicht besichtigt werden konnte. Man fuhr nach Roadbook und war damit gegen die Einheimischen klar im Nachteil.

Im Gespräch mit den beiden Piloten war eine spürbare Ruhe zu bemerken, keine Sperrer-Fans die Raphael bedrängten, klare Aussagen auf wesentliche Fragen, Sperrer schien in sich zu ruhen, die bevorstehende Rallye schien für ihn wie ein fröhlicher Ausflug zu sein. Die MIG Linz betreute das Audi Coupé, die Prüfungen oft sauschnell, nicht ungefährlich und für die Neulinge gab es schon nach wenigen hundert Metern vor der ORF-Kamera einen schwerwiegenden Fehler: statt rechts 2 wurde links 4-5 gefahren und dieses Missgeschick kostete am Ende rund vier Minuten.

Dennoch blieb Sperrer ruhig und entspannt – „Arafat“ ließ keine Hektik aufkommen, obwohl der mögliche Podestplatz unerreichbar geworden war. Raphael scherzte beim Service und die Mechaniker schwitzten trotz Winterzeit. Von Beginn an nicht unter den ersten Zehn verbesserte sich Sperrer im Verlauf von zwei Tagen bis auf den vierten Rang.

Fünfzehn Jahre gehörte der Mann aus Kirchdorf in Oberösterreich zu den heimischen Protagonisten des Rallyesports. Ich habe Raphael zwar nie in mein Herz geschlossen, aber doch als Klassemann geschätzt und auch begleitet. In Österreich, Dubai, Portugal, Spanien, Italien und Afrika. Und ich bin heute noch der Meinung, dass seine Karriere viel zu früh beendet wurde.

Wir haben uns aus den Augen verloren, sehen einander nur zufällig alle paar Jahre. Vielleicht auch heuer wieder in der „Kaiserin“, dem Gasthof von Sigi Schwarz, oder im Golfklub Schladming Dachstein, wenn Franz Wittmann jun. zum Turnier einlädt. Und vielleicht erkennst Du mich dann wieder, Raphael, und kannst auch wieder lächeln. So wie damals, 1994 in Südafrika …

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