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Erinnerungen eines Sportreporters: Wie war Weihnachten ...
Fotos: Archiv Rudi Stohl, Peter Klein privat

Wie war Weihnachten ...

Peter Klein bringt dieses Mal eine sehr persönliche Weihnachtsgeschichte, blickt zurück in seine Kindheit und zeigt Parallelen zweier schlimmer Unfälle von ihm selbst und Rudi Stohl.

Peter Klein für den Motorline Paddock Corner

Was schreibe ich in dieser Woche für Motorline.cc, überlege ich schon seit drei Tagen in Zeiten übler Pandemie. Ich habe keine Erinnerungen an Rallyes im Dezember, an große Taten heimischer Piloten. Zu Weihnachten war Pause, bestenfalls wurde in den diversen Werkstätten gearbeitet. Emsige Mechaniker trafen ihre Vorbereitungen für den ersten Einsatz im neuen Jahr, für die Jänner-Rallye im Raum Freistadt, oder vielleicht gar für die „Monte“. Von den Fahrern selbst war kaum was zu hören, von A bis Z nichts Neues, von Ambrosino bis Zanini nur „tote Hose“.

Man sagt ja, dass die Weihnachtszeit besinnlich wäre, die Menschen friedvoller, auch nachdenklicher werden und sich geistig in die Vergangenheit begeben. Und man erinnert sich meist an das Schöne, das Angenehme und welch gute Taten man doch einst vollbracht hätte. Manche erinnern sich gar an die eigene Kindheit, die Wünsche an das Christkind, an den Weihnachtsmann so lange man noch an ihn glauben konnte. Und obwohl ich schon einige Dezennien auf dieser Welt verweile, erinnere ich mich manchmal an Weihnachten in der Nachkriegszeit.

Meine Mutter bestand auf einen großen Christbaum – ich bin mit meinen beiden Geschwistern in einer 3,20 Meter hohen Altbauwohnung aufgewachsen – und auf kleine Geschenke für die Kinder und das war 1949 kein leichtes Unterfangen. Mein Vater war eine Woche vor dem Fest mit seinem „Waffenrad“ nach Mistelbach gefahren um Kartoffeln zu „hamstern“, ich durfte am Morgen des Heiligen Abends vom Pferdefleischhauer auf dem Karmelitermarkt fünf Schnitten Leberkäse holen. 10 Deka um einen wohlfeilen Schilling und meine Mutter musste eine dicke Panier zubereiten, denn wir hatten nur vier Schillinge zur Verfügung. Gebackener Pferdeleberkäse mit Kartoffelpüree war für uns ein hochherrschaftliches Dinner, welches ich selbst mit kosenden jungen Damen nicht bereit war zu teilen!

Was das alles mit Motorline.cc beziehungsweise Motor- oder Rallyesport zu tun hat wollen Sie wissen? Nichts, es gehört nur zu den „Erinnerungen eines Sportreporters“ wie mein erstes Fahrrad zu Weihnachten 1956 oder an mein erstes Auto 1966. Rund zwanzig Jahre später hatte ich meinen ersten Audi Quattro, allerding nur 11 Tage. Dann stellte sich mir auf der Südautobahn ein ziemlich betrunkener Isztvan mit seinem Opel in den Weg – der Rest ist bekannt (siehe Story: Mein ständiger Co-Pilot).

Im Verlauf des 24.12. hatte ich auf der Intensivstation im Krankenhaus von Wiener Neustadt viel Besuch. Hochwürden verabreichte mir nach zweiwöchiger Bewusstlosigkeit die letzte Ölung, Frau Oberärztin war dagegen und konstatierte ein Nierenversagen. Die diplomierte Krankenschwester raste mit dem Dialysetisch herbei und so hielt man mich am Leben. Man hatte mit Verbandsmaterial meine Arme an den Handgelenken fixiert, weil ich äußerst unruhig war.

Auch ohne Bewusstsein funktioniert das Gehirn und ich fantasierte schon am Christtag unglaubliche Ereignisse. Dass ich auf einem Krankenschiff läge, dass mich der Pfleger morden wolle, dass Rudi Stohl bei der San Remo Rallye einen schweren Unfall hätte. Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, schrie laut „Rudi“, doch ich war im wahrsten Sinn des Wortes ans Bett gefesselt. Ich zog im Unterbewusstsein permanent an den Mullbinden damit sie sich dehnten und mit einem Ruck riss ich mich frei.

Ich wollte raus aus dem Bett, wollte Stohl aus dem Wrack holen und riss mir die lebenserhaltenden Schläuche aus dem Leib. Statt dem permanenten piep, piep, piep ober mir ertönte plötzlich wilder Alarm und mein Pfleger, dieser Brutus, fixierte mich und band meine Hände nun mit Lederstreifen an das Bett. Oberarzt Dr. Wehrl recherchierte wer wohl dieser „Rudi“ sei und tags darauf kam Stohl tatsächlich auf die Intensivstation. Ich fühlte seine große, raue Hand auf meinem Arm, ich sah ihn nicht wusste aber, Rudi war unverletzt und ich wurde ruhig.

Am nächsten Tag fasste ich den Entschluss, das Koma zu beenden. Drei Wochen später stand ich mit Krücken wieder auf den Beinen, weitere drei Wochen danach begab ich mich für vier Wochen zur Rehabilitation auf den „Weißen Hof“ in Klosterneuburg. Vier Monate nach meiner unliebsamen und doch folgenschweren Begegnung auf der Südautobahn, flog ich zur Safarirallye nach Kenia. Ich hatte die genialen Kameramänner Heribert Senegacnik und Helmut Deimel verpflichtet, Rudi wurde mit Co-Pilot Jürgen Bertl Siebter im Gesamtklassement. Noch vor den Werkspiloten Mike Kirkland, Rauno Aaltonen und Ari Vatanen – und alles war gut.

Wie sich die Bilder gleichen. Im Herbst 1988 flog Rudi, damals mit Co-Pilot Reinhard Kaufmann, zum dritten Mal nach Abidjan zur Rally Cote d`Ivoire und erstmals seit 1980 war ich nicht bei einem WM-Lauf den Herr Stohl bestritt! Es war der 23. September und ich war, für meine Begriffe schon recht zeitig in der ORF-Sportredaktion kurz vor acht Uhr eingetroffen. Ich studierte die APA-Meldungen um Neuigkeiten über die Rallye zu erfahren und da las ich: „Schwerer nächtlicher Unfall von Stohl in den Wäldern des Nationalparks!“. Nebenbei erwähnt: damals gab es noch kein Internet, kein WhatsApp oder Messenger, aber sehr wohl Funkverbindung zwischen Rallyeauto und Servicecrew. Rudis Mechaniker Peter Schuller und Kay Gerlach hatten am Serviceplatz gewartet um die nötigen Handgriffe zu erledigen. Rund 200 km zuvor hatte man vergessen zu tanken, Rudi duellierte sich zu diesem Zeitpunkt mit Patrick Tauziac, Werkspilot bei Mitsubishi, um Rang Drei.

Er schrie nach Benzin der in Kanistern mitgeführt wurde, als ihn der Franzose praktisch beim Service überholte. Zwei Kanister, rund 40 Liter Benzin rannen wie in Zeitlupe durch den Trichter und Rudi hatte Schaum vor den Mund. Rein in den Audi und hinterher, während das Duo Schuller/Gerlach sich in die entgegengesetzte Richtung zum nächsten Servicepunkt aufmachte.

Nach wenigen Kilometern kam der Funkspruch von Kaufmann: „Mia hobn an Unfoi ghobt, hobn uns a boa moi übaschlogn, mia lign im Tai Forest, da Rudi is bewusstlos und bliat vom Schädl!“ Kay wendete das Serviceauto auf der Stelle, Peter riss das Roadbook an sich, Taschenlampe an und den Weg, die Rallyestrecke suchen. Der Tai Nationalpark ist der letzte große Regenwald Westafrikas mit einer Größe von fast 3.300 Quadratkilometern. Kay hielt kurz beim Zeitnehmer, berichtete von Stohls Unfall und dann mit Vollgas und bei heftigem Regen nach Roadbook in die Prüfung. Kurz vor Mitternacht kamen sie zum Unfallort und leisteten erste Hilfe. Stohl war, aus einer Kopfwunde blutend, noch immer ohne Bewusstsein, der Audi ein Totalschaden.

Erst um drei Uhr früh traf der Arzt ein, Stohl wurde nach Abidjan und zwei Tage später nach Europa geflogen. Ein Rettungsflugzeug des ÖAMTC brachte ihn aus der Schweiz nach Wien und Rudolf landete, mit dreifach gebrochenem Arm und nach wie vor in tiefer Bewusstlosigkeit, im Lorenz-Böhler Krankenhaus. Nach zehn Tagen erstmals Besuchserlaubnis und wir standen zu Dritt auf dem Gang: Gattin Elfi, seine Tochter und ich durften nacheinander ins Zimmer.

„Er ist noch immer ohne Bewusstsein“, berichtete die Ehefrau und tränenüberströmt etwas später die Tochter „der Papa bewegt sich nicht“. Ich ging in das Einzelzimmer und erschrak, als ich den kahlrasierten Schädel mit der knapp zehn Zentimetern langen vernähten Wunde sah. Regungslos lag Rudi auf seiner linken Schulter, ich stand am Kopfende und redete auf ihn ein. Ich erzählte ihm von meinem Unfall vor zwei Jahren und wie das war, im Koma zu liegen. Und wie es war, wieder zu sich zu kommen, unter dem Beatmungsgerät und dass doch alles wieder gut werde und ich sagte zu Rudi: „Stohl, mach die Augen auf!“ Fast machte ich mir Vorwürfe, einmal war ich nicht dabei und schon hauts den Rudi aufs Maul. Da ächzte er, drehte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. „Seavas Peda“ und schon dreht er sich nach rechts und ergibt sich der Leere.

Eine Woche später durfte ich mit Kamerateam ins Spital, Rudi war seit vier Tagen wieder voll da, sah aber unendlich müde aus. Es war der 11. Oktober und ich fragte Rudi wie es zum Unfall gekommen war und ob es das Ende seiner Karriere im Rallyesport wäre. „A Zimmermann haut a ned den Hammer weg, waun er an Nogl schief einehaut“, war die lapidare Antwort. Wann und wo soll es weitergehen wollte ich wissen. Rudi: „vua Weuhnochtn warat a Rallye in Dubai, duat woa ma a no ned.“ Mit einem Blick auf den vergipsten Arme kamen mir Zweifel: „Das wird sich aber nicht ausgehen“ und Rudi wurde realistisch: „dann foa ma hoit wida di Safari.“

Noch im November kam Stohl ins Rehabilitationszentrum „Weißer Hof“ und auch in Klosterneuburg besuchte ich ihn mit Kamerateam, um seine Fortschritte später zu dokumentieren. Nach drei harten Wochen wurde Rudi Mitte Dezember wieder entlassen. „Weihnochtn daham is scho vü scheener“, strahlt er „ned so wia domois bei Dir“, und begann mit intensivem Krafttraining im Wohnzimmer. Anfang Februar war er schon wieder an seinem Arbeitsplatz zu finden und an manchen Abenden in der Werkstätte von Rolf Schmidt, wo der neue Audi für Afrika aufgebaut wurde. Als wir nach Nairobi flogen erinnerte ich mich zurück an 1986, an meinen Unfall, das Rehabilitationszentrum und an den Neubeginn bei der Safarirallye. Am dritten Tag, nahe der Massai Mara, lagen Stohl/Rohringer an 7. Stelle als die Aufhängung am Quattro nicht mehr wollte.

Mit dem gleichen Auto fuhr Stohl Ende Mai die Akropolisrallye und beendete sie auf Rang sechs. Noch vor den Werkspiloten von Mitsubishi, Audi, Lancia und Nissan. Vor Shinozuka, Armin Schwarz, Per Eklund und Bruno Thiry. Der Unfall, das Krankenhaus, die Rehabilitation war Vergangenheit, alles war gut.

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